Kann man das Tragen des Kopftuchs auch als Empanzipationssymbol muslimischer Frauen deuten? Nach gängigen Vorstellungen schließt das eine das andere aus. Die Sprachwissenschaftlerin Dr. Reyhan Şahin hat über die Bedeutung des muslimischen Kopftuchs promoviert und kommt dabei zu überraschenden Ergebnissen. Wir hatten sie bereits im Sommer 2013 im Haus der Gerda Henkel Stiftung interviewt. Nun ist ihre Dissertation erschienen, was ihr nicht zuletzt Zeit für neue Projekte gibt. Wir haben sie dazu befragt.
"Sie verbinden ihre muslimische Zugehörigkeit mit einem säkularisierten Lebensstil"
L.I.S.A.: Frau Dr. Şahin, Ihre Doktorarbeit „Die Bedeutung des muslimischen Kopftuchs“ ist nun erschienen. Darin analysieren Sie, welche unterschiedlichen Bedeutungen das Tragen des Kopftuchs für Musliminnen in Deutschland haben kann. Das Buch könnte kaum aktueller sein, denn anlässlich des Weltfrauentages vor kurzem wurde auch wieder über das Thema „Islam und Frauenemanzipation“ diskutiert. Sie stellen in Ihrer Studie die These auf, dass das Kopftuch auch ein Zeichen für Emanzipation sein kann. Können Sie uns das erklären?
Dr. Şahin: Bisher wurde „Islam und Emanzipation“ - ähnlich wie „Islam und Mode“ - als Gegensatzpaar betrachtet. Dies entspricht aber nicht der Realität: Die junge Generation von Musliminnen – sowohl mit als auch ohne Kopftuch – weist einen überwiegend fortschrittlichen Lebensstil innerhalb Deutschlands auf, sie nutzt das deutsche Bildungssystem in vollem Maße, will Karriere machen und selbstbestimmt leben. Sie verbinden ihre muslimische Zugehörigkeit mit einem säkularisierten Lebensstil. Sie wollen niemanden bekehren aber auch nicht bevormundet werden, sondern erwarten die Respektierung und Anerkennung als „Deutsche Muslima“. In ihren ehelichen Beziehungen pochen die Frauen auf die Gleichberechtigung der Geschlechter, d.h. sie räumen dem Ehemann keine Vorzüge ein, sind gegen Polygamie, glauben an die gleichen Rechte von Mann und Frau, auch wenn sie diese als biologisch unterschiedlich betrachten. In solch einem Kontext kann das Kopftuch bei Akademikerinnen als ein Zeichen für muslimisch-weibliche Emanzipation betrachtet werden und sogar als Zeichen des weiblichen Empowerments – weil sich die Frauen mit einem oftmals modisch kombinierten Kopftuch selbst ermächtigen. Und das entgegen der bisher gängigen medialen und gesellschaftlichen Stigmatisierungen, Ausgrenzungen und Diskriminierungen! Sie gehen ihren eigenen Weg, koste es, was es wolle. Das ist eigentlich ziemlich bemerkenswert.
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Grundsätzlich freue ich mich sehr, dass immer mehr Einwandererkinder den gesellschaftlichen und akademischen Sprung schaffen.
Dabei bin ich mir aber unsicher, ob es notwendig ist diesen Unfug wie das Tragen eines Kopftuches - und ja, das ist Unfug - im Gericht oder an der Schule zu gestatten.
Vielleicht ist es aber auch nur ein kleiner Preis für die Emanzipation der Muslimischen Gemeinschaft in Deutschland. Wenn wir im Gegenzug die Meinungsfreiheit behalten können, sowie den Religionsfreiheit endlich sinnvoll in die Schranken verwiesen wird ist die Gestattung des Tragen eines bunten Tuches auf dem Kopf kein all zu schlimmer Preis.
Und danach können gerne Politikwissenschaftler und Soziologen wie Frau Dr. Sahin kommen und das irgendwie begründen.
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Wir haben über meine Frau (Ausländerin) eine albanische Familie kennengelernt. Erst nach einer Weile haben wir zufällig erfahren, dass sie Muslime sind. Wieso?
Weil der Mann ganz normal einer Arbeit nachgeht, weil die Frau ganz normal (und ohne Kopftuch) mit meiner Frau zusammen einkaufen gehen kann und weil man seine Religion nicht zur Schau stellt oder agressiv anderen aufdrücken will, sondern für sich im Privaten und ggf. gelegentlich im Zusammensein mit Gleichgläubigen lebt. Damit kann ich gut. Das kratzt auch nicht an meinem Lebensgefühl. Meine Friseurin aus Palestina ist auch sehr nett. Sie ist Muslimin, braucht aber auch kein Kopftuch. Die kann auch mit Satire umgehen.
Es gibt sie, die Lichtblicke. Aber der hierzulande überhandnehmende Großteil dieser radikalen Islamisten, ob Sie mich prügeln wegen Bildern/Karrikaturen oder ob sie sich unbedingt mit Hilfe von Kopftüchern selbst ausgrenzen, soll doch lieber zu einer friedvollen Welt beitragen, indem er sich zum Leben in eine gleichgesinnte Gesellschaft begibt statt hierzulande mein Lebensgefühl zu beeinträchtigen.
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