Internationale Organisationen konnten in den früheren Ostblockstaaten als Selbstorganisationen präsent und aktiv sein. So zum Beispiel die Rotkreuzgesellschaften Polens und der Tschechoslowakei, die die Osteuropahistorikerin Dr. Maren Hachmeister in ihrer Dissertationsarbeit untersucht hat. Als Teil der internationalen Rotkreuzbewegung unterschieden sich das Polnische Rote Kreuz (Polski Czerwony Krzyż, PCK) und das Tschechoslowakische Rote Kreuz (Československý Ċervený kříž, ČSČK) von anderen verstaatlichten Massenorganisationen. Sie verknüpften sozialistische Ideologie und humanitäre Prinzipien zu einem socialist humanitarianism. Was genau bedeutet in ihrer Arbeit socialist humanitarism und wie war zivilgesellschaftliche Selbstorganisationen für beide Organisationen unter den Vorzeichen des Staatssozialismus möglich? Diese und andere Fragen haben wir Maren Hachmeister gestellt.
"Als Geschichte großer Kontinuität erzählt"
L.I.S.A.: Frau Dr. Hachmeister, Ihre Dissertationsarbeit unter dem Titel "Selbstorganisation im Sozialismus. Das Rote Kreuz in Polen und der Tschechoslowakei 1945–1989" liegt nun vor. Bevor wir auf einige konkrete Fragen zu sprechen kommen, was hat Sie zu Ihrem Thema geführt? Welche Überlegungen gingen dem voraus?
Dr. Hachmeister: Seitdem ich in gemeinnützigen Vereinen aktiv bin und einen Verein mitgegründet habe, interessiere ich mich für Themen wie ehrenamtliches Engagement, Zivilgesellschaft und Freiwilligenmanagement. Warum Organisationen in Gesellschaften entstehen und wie sie überleben, waren Fragen, mit denen ich mich deshalb gern wissenschaftlich auseinandersetzen wollte. Zuerst wollte ich Wohlfahrtsorganisationen im Allgemeinen untersuchen. Nach ersten Recherchen habe ich beschlossen, mich auf das Rote Kreuz zu konzentrieren. Die Geschichte des Roten Kreuzes wird heute als Geschichte großer Kontinuität erzählt. Dass es kaum wissenschaftliche Darstellungen über die nationalen Rotkreuzgesellschafen Ostmitteleuropas – insbesondere über ihre Tätigkeit während der Jahrzehnte des Staatssozialismus – gab, machte mich neugierig. So kam ich auf die Idee, über Aktivitäten des Roten Kreuzes im Staatssozialismus zu schreiben.