Krieg, Flucht, Asyl – Begrifflichkeiten, die Politik, Medien und Öffentlichkeit vor allem seit dem Sommer intensiv beschäftigen. Der vermittelte Eindruck: ungeahnt strömen plötzlich Hunderttausende nach Europa, insbesondere nach Deutschland. Tatsächlich aber kündigen Migrationsforscher schon seit Jahren Wanderungsbewegungen dieses Ausmaßes an und fordern eine gezielte Migrationspolititk sowie eine Bekämpfung der Fluchtursachen. So auch der renommierte Migrationsforscher, Publizist und Politikberater Prof. Dr. Klaus J. Bade. Der Begründer des Osnabrücker Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS), des bundesweiten interdisziplinären Rates für Migration (RfM) und der ebenfalls bundesweiten Gesellschaft für Historische Migrationsforschung (GHM) ist von der Bundesregierung immer wieder zu Rate gezogen worden, wenn es um Fragen zu Migration und Integration geht. Wir wollten von ihm wissen, wo er die Ursachen für die Fluchtbewegung sieht, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um Flüchtlinge zu integrieren und wie eine nachhaltige Politik aussehen müsste, die Fluchtbewegungen entgegenwirkt.
"Es gab hinreichend Trendanalysen und Warnungen"
L.I.S.A.: Herr Professor Bade, Sie zählen zu den renommiertesten Migrationsforschern. Zurzeit erleben wir eine – ja, was eigentlich? Eine Flüchtlingsflut, -welle, -ströme, -problematik, -bewegung?
Prof. Bade: Was heute von vielen Politikern wie ein unerwartbares, geradezu schicksalhaftes Migrationsunwetter mit Jahrhundertflut aus heiterem Himmel beschrieben wird, das sich an aktuellen Krisenherden im arabischen Raum entzündet hat, überrascht Migrationsforscher nicht so sehr. Niemand konnte zwar konkret voraussagen, was sich wann in welchem Umfang wo und wie ereignen würde. Prognosen sind bekanntlich immer ein Problem - und besonders dann, so Karl Valentin, wenn es dabei um die Zukunft geht. Aber es gab hinreichend Trendanalysen und Warnungen vor sich aufbauenden Kraftfeldern im Wanderungsgeschehen. Literaturkenntnis schützt vor Neuentdeckungen:
Wir haben schon frühzeitig, zum Beispiel im „Manifest der 60: Deutschland und die Einwanderung“ von 1994 darauf hingewiesen, dass sich in verschiedenen außereuropäischen Großregionen, vor allem des globalen ‚Südens’ langfristig ein Migrationsdruck aufbaut. Man kann sich das wie ein Fass mit Problemen vorstellen, dass immer mehr vollläuft, irgendwann überläuft und dann Migrationsbewegungen auslöst. Sie sind allerdings bislang zu mehr als 90 Prozent im weiteren Umfeld geblieben und haben Europa nur zu einem sehr geringen Bestandteil tangiert.
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