Vor 150 Jahren, genauer am 31. Januar 1865, hat der US-Kongress den 13. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten verabschiedet, der die Sklaverei auf dem gesamten Gebiet der USA abschuf. Diesem Gesetzesakt gehen fast 250 Jahre Sklaverei und Unfreiheit voraus, seit 1619 die ersten Afrikaner nach Virginia verschleppt worden waren. Als sich 1776 die 13 Kolonien von Großbritannien lösten und für unabhängig erklärten, gab es auf deren Territorium insgesamt fast 500.000 versklavte Menschen. Die Historikerin Dr. Carolin Retzlaff hat sich mit der Geschichte der Sklaverei in Nordamerika beschäftigt und dabei vor allem Prozesse untersucht, in denen Sklaven versuchten, ihre Freiheit einzuklagen. Wir haben ihr dazu unsere Fragen gestellt.
"Die Grenzen zwischen Freiheit und Sklaverei verliefen nicht so klar"
L.I.S.A.: Frau Dr. Retzlaff, Sie haben zum Thema Sklaverei im Fach Geschichte promoviert, genauer: zu den Freiheitsprozessen von Sklaven in Nordamerika (1750-1800). Auf den ersten Blick scheinen sich Freiheitsprozess und Sklaverei zu widersprechen, oder?
Dr. Retzlaff: Ja, ganz genau. Ich finde es auch nach der langen Auseinandersetzung mit den Gerichtsdokumenten immer noch interessant, dass es überhaupt zu diesen Prozessen kommen konnte. Für die Menschen in den englischen Kolonien und späteren amerikanischen Bundesstaaten, die ich untersucht habe, war die Sklaverei fester Bestandteil der Arbeits- und Lebenswelt. Das Recht legte fest, dass es freie und unfreie Menschen gab und diese Aufteilung war maßgeblich für die Aufrechterhaltung des gesamten Systems. Unfreie versuchten auf unterschiedliche Weisen, sich dieser Unterdrückung zu entziehen, doch dass sie dabei auch auf das Rechtssystem vertrauten – das eigentliche Instrument ihrer Herabsetzung – erscheint auf den ersten Blick abwegig.
Auf den näheren Blick wird dann aber deutlich, dass die Grenzen zwischen Freiheit und Sklaverei nicht so klar verliefen, wie man das von vorne herein annehmen würde. Da sich das Sklavereirecht in ständigem Wandel befand und sich von Kolonie zu Kolonie stark unterschied, ergaben sich – je nach Ort, Zeit und Situation – für Sklaven immer wieder Gelegenheiten, ihre lebenslange Versklavung vor Gericht in Frage zu stellen. Dementsprechend heterogen sind die Argumente, die Unfreie in ihren Prozessen anführten, um freie Menschen zu werden.
Die gängige Darstellung von Sklaven als passive Menschen, die nicht fähig waren, eigene Entscheidungen zu treffen, ist natürlich auch dafür verantwortlich, dass man verwundert auf diese Freiheitsprozesse schaut: Die Gerichtsfälle zeigen aber ganz deutlich, wie gut sich die unfreien Kläger teilweise mit dem Rechtssystem auskannten, wie gut sie sich organisierten und mit welchen Anstrengungen sie allen Widrigkeiten zum Trotz einem solchen Gerichtsprozess – oft über Jahre – nachgegangen sind.
Auch aus diesem Grund vermeide ich in meiner Arbeit das Wort „Sklave“ und verwende das Wort „Unfreie“ oder „Versklavte“, um dem Rechnung zu tragen, dass diese Menschen nicht – wie in der damaligen Lebenswelt angenommen – zum „Sklaven“ geboren worden waren, sondern von anderen Menschen erst durch das Trauma der Versklavung in diesen Status gezwungen wurden.