Im Zeitalter der Globalisierung verlieren nationale Grenzen und Nationen zunehmend an Bedeutung. In manchen Regionen aber steht die Forderung nach nationaler Unabhängigkeit immer noch an erster Stelle: so auch in Katalonien und im Baskenland. Dr. Patrick Eser, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Romanistik der Universität Kassel, untersucht in seiner Dissertation "Fragmentierte Nation - globalisierte Region? Der baskische und katalanische Nationalismus im Kontext von Globalisierung und europäischer Integration" die baskischen und katalanischen Nationalbewegungen. Seine Arbeit wurde mit dem Werner-Krauss-Preis des Deutschen Hispanistenverbandes ausgezeichnet. Wir haben mit ihm über seine Forschung gesprochen.
"Forderung nach nationaler Unabhängigkeit"
L.I.S.A.: Herr Dr. Eser, Sie haben sich in Ihrer Doktorarbeit mit dem Spannungsfeld Nationalismus-Globalisierung beschäftigt. Ihr Hauptaugenmerk richten Sie dabei auf den baskischen und katalanischen Nationalismus. Was war dabei die Ausgangs- bzw. Leitfrage Ihrer Untersuchung?
Dr. Eser: Am Anfang meiner Untersuchung stand die Verwunderung darüber, dass in einem Zeitalter, in dem die nationalen Grenzen und Nationen zunehmend an Bedeutung verlieren, in manchen Regionen, so im Baskenland und in Katalonien, die Forderung nach nationaler Unabhängigkeit von großen Bevölkerungsteilen befürwortet wird. Diese Forderung und ihre breite Unterstützung in den beiden Regionen muten auf den ersten Blick anachronistisch an. Ausgehend von diesen erklärungsbedürftigen Phänomenen zielt das Erkenntnisinteresse darauf ab, zu klären, wie sich die auf nationale Selbstbehauptung abzielenden politischen Bestrebungen im Kontext der Globalisierung und des Anstiegs der globalen ökonomischen und politischen Interdependenzen verändern. Entsprechend habe ich die Aufmerksamkeit darauf gelegt, zu untersuchen, welche politische Ziele formuliert werden, wie diese begründet und wie sie erreicht werden sollen.
L.I.S.A.: Welcher Nations- und Nationalismusbegriff liegt Ihrer Arbeit zugrunde? Kann man sich bei der Vielfalt an wissenschaftlichen Konzepten überhaupt noch auf eine klare Definition verständigen?
Dr. Eser: Es ist tatsächlich sehr schwierig, nicht zuletzt angesichts der in den letzten Dekaden prosperierenden nationalismustheoretischen Debatten, einen weithin geteilten Nationalismusbegriff zu finden. Nationalismus wurde seit den 1980er Jahren in unterschiedlichen Perspektiven zum Forschungsgegenstand gemacht, die mitunter sehr produktive Erkenntnisse hervorgebracht haben. Diese methodische Vielfalt muss keine Schwäche sein – im Gegenteil! Die Herausforderung besteht darin, einen für das eigene Forschungsdesign adäquaten Nationalismusbegriff zu heraus zu arbeiten und diesen der Analyse in kritischer Zuspitzung zugrunde zu legen. Die konkrete Beschäftigung mit dem katalanischen und baskischen Nationalismus zeigt, dass es schwierig ist, von „dem“ katalanischen respektive baskischen Nationalismus zu sprechen, da diese sehr verschiedene Strömungen umfassen, deren Programmatik, Ideologien und politische Praxis stark voneinander abweichen. Ich habe meiner Untersuchung den von dem tschechischen Nationalismusforscher Miroslav Hroch geprägten Begriff der „Nationalbewegung“ zugrunde gelegt. Der Begriff ist ein historisch-dynamischer Begriff, der die verschiedenen Stadien der Entwicklung der Nationalbewegungen beleuchtet wie auch die soziale Trägerschaft und somit die sozialstrukturelle Dimension untersucht. Nationalbewegungen sind niemals homogene politische Erscheinungen und stets durch eine innere ideologische Heterogentität gekennzeichnet. Bedeutend für meine Untersuchung war es den Aspekt ideologischen Heterogenität zu betonen und die ideologische Fragmentierung der Nationalbewegungen in verschiedenen Spielarten oder auch „Diskursgemeinschaften“ zu beleuchten.
Bild: Dr. Eser