L.I.S.A.: Japan wird im Westen und vor allem von Tierschützern für seinen Walfang scharf kritisiert. Zurecht?
Schladitz: Das Problem ist komplex und berührt zahlreiche staatliche und nicht-staatliche Akteure. Eine Gleichsetzung des Walfangs als Symbol für ganz Japan, wie es die Walfänger mit dem „Traditions“-Argument und gelegentlich auch Walfanggegner tun, wird der aktuellen und historischen Lage nicht gerecht. Zwischen Walfängern und ihren Gegnern geht es um die Grundsatzfrage, ob Wale kommerziell bejagt werden dürfen oder nicht. Die meisten Tierschützer lehnen dies kategorisch ab. Die Industrie sieht hingegen Wale weiterhin als Ressource an. Beide Seiten versuchen, mit den verschiedensten Argumenten, der Interpretation wissenschaftlicher Daten und letztlich auch Deutungen der Geschichte ihre Position zu stärken.
Japan hat das Walfang-Moratorium der IWC unterzeichnet und daraufhin offiziell den kommerziellen Walfang beendet. Im Vertrag wurden allerdings zwei Ausnahmeregelungen getroffen: einerseits ist Walfang erlaubt, wenn er dem Eigenbedarf sogenannter indigener Völker dient, andererseits dürfen auch Wale unter Sondererlaubnis zu Forschungszwecken getötet werden. Unterzeichnende Regierungen dürfen hierzu Organisationen mit der Tötung von Walen zu Forschungszwecken - auch solchen, die einem Fangverbot unterliegen - beauftragen. Die so getöteten Wale sollen wiederum soweit wie möglich verwertet werden - etwa indem das gewonnene Fleisch vermarktet wird. Diese Regelung stammt aus dem Artikel 8 der Internationalen Walfangkonvention von 1946 und baut auf die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg auf, als Walforscher direkt auf den Walfangschiffen statistische Erhebungen über Fänge anstellten, um Fortpflanzung und Vorkommen der Wale zu erfassen. Ironischerweise standen zu dieser Zeit insbesondere westliche Walfänger in der Kritik, die Wale verschwenderisch zu verarbeiten.
Genau dieser Ausnahmeregelung bedienen sich seit 1987 die japanischen Walfänger, indem sie sämtlichen Walfang als Forschungsaktivität deklarieren und Schiffe mit den Lettern „RESEARCH“ markieren. Freilich unterschiedet sich die dieses sogenannte „Sampling“ von Walen wenig vom Walfang Japans vor dem Moratorium. Zudem war die statistische Erfassung von Wallängen, Mageninhalten und Geschlecht der getöteten Wale bereits ein zentrales Arbeitsmittel von Walforschern, die in den 1930er Jahren die Fabrikschiffe zur Feldforschung nutzten. Das Flaggschiff der Walfangflotte, die Nisshin Maru, teilt sich den Namen mit dem ersten in Japan gebauten Fabrikschiff von 1937. Auch in der Funktionsweise unterscheiden sich Walfang und Walforschung wenig.
Für das sogenannte „lethal sampling“, also den Abschuss von Walen um an Forschungsproben zu gelangen, hat Japan unter anderem auch Finnwale, die in der Roten Liste der IUCN als gefährdet eingestuft werden, in das Forschungsprogramm aufgenommen. Andere Spezies, wie die hauptsächlich gejagten Zwergwale, werden dort hingegen momentan nicht als gefährdet angesehen, obwohl Angaben zur Populationsgröße umstritten sind. Die Listung dieser Spezies im Washingtoner Artenschutzabkommen hat Japan nicht anerkannt. Deklariertes Ziel der beiden aktuellen Forschungsprogramme JARPA II im Südpolarmeer bzw. JARPN II im Nordpazifik soll letztlich eine Untersuchung der Möglichkeiten sein, die Populationen von ökonomisch wertvollen Walspezies in Zukunft wieder kommerziell auszubeuten.
Vertreter des Walfangs argumentieren, dass es keine wissenschaftlichen Gründe gegen die Wiederaufnahme des Walfangs gibt und die Argumente der Walfanggegner auf einer unrationellen emotionalen Deutung von Walen als besondere Tiere basieren. Diese Argumente wurden allerdings von japanischer Seite schon in den 1970er Jahren hervorgebracht, als zahlreiche Walpopulationen durch die Industrie vor dem völligen Verschwinden standen.
Walfanggegner hingegen halten die erzielten Forschungsergebnisse für irrelevant und die angewandten Methoden für unangemessen. Forschungsergebnisse zu Bestandszahlen und zur Ökologie ließen sich auch durch nicht-tödliche Methoden erzielen. Darüber hinaus argumentieren sie, dass die langsamen Reproduktionsraten von Meeressäugern den Walfang grundsätzlich verbieten. Die üblicherweise angewandte Tötungsmethode beim Walfang seit 1868 – der Abschuss einer Harpune mit Sprengladung, ist äußerst qualvoll und auf dem Meer naturgemäß unzuverlässig. Die Tiere haben teilweise einen minutenlangen Todeskampf oder sterben erst nach Fangschüssen. Die Vorgabe von Tierschutzbestimmungen, Qualen von Tieren zu vermeiden, lassen sich im Walfang kaum durchsetzen.
Zusätzlich wird von Walfanggegnern die Rolle der japanischen Fischerei bei der Überfischung der Meere und die japanische Blockadehaltung zu Schutzabkommen wie etwa zu Tunfischen als Beispiel angeführt, dass japanisches Meeresmanagement im Falle der kommerziellen Nutzung von Ressourcen grundsätzlich versagt hat. Eine kommerziell interessante Spezies wie etwa Tunfische wird demnach grundsätzlich überfischt und die Walfänger haben bereits vor dem Moratorium gezeigt, wie stark Walpopulationen vor einem Fangstopp dezimiert wurden.
Wale waren unter den ersten vom Menschen ausgebeuteten wild lebenden Lebewesen, deren Schutz und Bewahrung vor dem möglichen Aussterben auf internationaler Ebene intensiv diskutiert wurde. Hierfür spielte anfänglich die große wirtschaftliche Bedeutung und die Sorge um den Fortbestand der Walfangindustrie eine entscheidende Rolle. Kritische Töne setzten das große maschinelle Abschlachten der Tiere früh mit einem Krieg gleich. Die universelle kulturelle Faszination mit den Tieren spielten hierbei definitiv eine große Rolle. Obwohl es in den 1930er und 1940er Jahren noch keine ausgeprägten zivilgesellschaftlichen Bewegungen für den Meeresschutz gab, zeigen zeitgenössische Diskussionen, dass sich die Menschen sehr wohl Gedanken über ein mögliches Aussterben der Wale gemacht haben. Die Umweltschutzbewegungen, die in den 1960er und 1970er Jahren begannen, gegen Walfang zu protestieren, hatten also durchaus geistige Vorfahren.
Der Verzehr von Walfleisch wurde und wird immer als großer kultureller Unterschied zwischen Japan und den meisten westlichen Ländern wahrgenommen. In Japan war die Gewinnung von Walfleisch ein wichtiger Teil des Walfangs, während westliche Walfänger vor Allem Öl gewinnen wollten. Aus verschiedenen Quellen wurde gelegentlich der Verzehr von Walfleisch auch in westlichen Ländern angepriesen. Durchgesetzt hat sich dies allerdings nie.
Im Verhältnis zu seiner historischen Bedeutung seit Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die 1970er Jahre ist die Walfangindustrie als Wirtschaftszweig heute unbedeutend. Da die Expeditionen einer Fangflotte ins Südpolarmeer sehr teuer sind, auf der anderen Seite Walfleisch aber auch in Japan einen schrumpfenden Markt hat, müssen sie als Forschung von Regierungsstellen subventioniert werden. Trotzdem ist dies natürlich ein Industriezweig, der auch für sein eigenes Überleben kämpft und innerhalb der von Lobbyarbeit beeinflussten Politik Japans Einfluss ausüben kann. Obwohl das viel beworbene Walfleisch in den Essgewohnheiten der meisten Japaner keine oder nur eine geringe Rolle spielt, können sich doch viele an die wichtige Rolle von Walfleisch in der Nachkriegszeit erinnern. Es ist daher verständlich, dass die Waljagd für viele Japaner zumindest akzeptabel ist.
Die Zukunft des Konfliktes lässt sich schwierig vorhersagen. Neben den Japanern jagen auch norwegische und isländische Walfänger kommerziell Wale und Südkorea hat einen Einstieg in den Fang angekündigt. Ein Kompromissvorschlag, den Walfang aus dem Südpolarmeer in japanische Küstengewässer zu verlegen und dort legal durchzuführen, haben sowohl Umweltschützer von Greenpeace als auch Walfänger, die sich nicht aus den internationalen antarktischen Gewässern vertreiben lassen wollen, bisher abgelehnt.