Die aktuelle Ausgabe der Fachzeitschrift "Zeithistorische Forschungen" (Heft 3/2019) widmet sich dem komplizierten Verhältnis zwischen Israel, Palästina und Deutschland (bzw. bis 1989/90 den beiden deutschen Staaten). Evelyn Runge und Annette Vowinckel haben als Gastherausgeberinnen ein breites Spektrum von Beiträgen zusammengeführt, das von 1948/49 bis in die Gegenwart reicht (mehr dazu in ihrem Editorial).
Geographisch und kulturell scheint der Nahe Osten von Deutschland weit entfernt zu sein. Historisch betrachtet ist dies ein Trugschluss, denn die dortigen Konflikte der Gegenwart sind eng verflochten mit der deutschen bzw. europäischen Kolonialgeschichte, der Geschichte des Nationalsozialismus und der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte. Auch im deutschen Alltag war und ist der Nahostkonflikt in vielfältiger Weise präsent, wie etwa der Streit um das Jüdische Museum Berlin unlängst gezeigt hat. Auf einer ganz anderen Ebene verbindet Berlin und Jerusalem die Präsenz von Mauern im Stadtbild (siehe dazu den Bildessay von Annette Vowinckel): Von 1948 bis 1967 war Jerusalem eine geteilte Stadt, Berlin besonders seit dem Mauerbau von 1961 bis 1989. Seit 2002 trennt eine Mauer Teile Ostjerusalems von den palästinensischen Autonomiegebieten.
Einige Beiträge des Themenhefts sind Auswirkungen des Nahostkonflikts auf die deutsche Gesellschaft gewidmet, etwa den Interaktionen palästinensischer und israelischer bzw. jüdischer Gruppen in der Bundesrepublik seit den 1950er-Jahren (Aufsatz von Joseph Ben Prestel). Andere richten ihr Augenmerk auf deutsch-israelische Phänomene wie die Rezeption der Bücher von Ephraim Kishon (Aufsatz von Silja Behre) oder die Rüstungsexporte der Bundesrepublik nach Israel in den 1970er-Jahren (Hubert Leber). In der Rubrik "Neu gelesen" erinnert Lutz Fiedler an die autobiographischen Romane von Carl-Jacob Danziger (Pseudonym für Joachim Chaim Schwarz), der sich weder in Palästina bzw. in Israel noch später in der DDR heimisch fühlen konnte. Es wird diskutiert und belegt, wie eng die deutsche Zeitgeschichte bis heute mit derjenigen Israels und Palästinas verknüpft ist.
In der Zusammensetzung der Autorinnen und Autoren sowie durch ihre wissenschaftlichen Biographien dokumentiert auch das Heft selbst solche Verflechtungen. Dies gilt neben Silja Behre (Tel Aviv) unter anderem für Zarin Aschrafi, die einen Aufsatz über den "Nahen Osten im Frankfurter Westend" beigesteuert hat, und für Ofer Ashkenazi, der in einem Essay über die israelische Historiographie zur Vertreibung der arabischen Palästinenser*innen (Nakba) informiert; beide sind derzeit an der Hebräischen Universität in Jerusalem tätig.
Der 53. Deutsche Historikertag in München wird Israel als Partnerland haben. Bekanntlich musste der Kongress vom September 2020 leider auf Oktober 2021 verschoben werden. Nun kann das Heft – im Open Access sowie mit der parallelen Druckausgabe – immerhin ein wenig auf die Debatten einstimmen.
Die "Zeithistorischen Forschungen" werden am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam herausgegeben von Frank Bösch, Konrad H. Jarausch und Martin Sabrow. Die Zeitschrift erscheint gedruckt im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht und zugleich im Open Access.