Ob als "größtes Naturereignis des deutschen Staates" (Leopold von Ranke), "Kampf des Lichts gegen die Finsternis" (Wilhelm Zimmermann) oder "radikalste Tatsache der deutschen Geschichte" (Karl Marx): Dem Deutschen Bauernkrieg wurde zu verschiedensten Zeiten und von verschiedensten Denkrichtungen herausragende geschichtliche Bedeutung zugemessen. Der Neuzeit-Historiker Prof. Dr. Gerd Schwerhoff (TU Dresden) hat sich mit Forschungsgeschichte und Rezeption des Bauernkrieges auseinandergesetzt und sieht in ihm ein "zentrales Paradigma für die Konstituierung des jeweiligen Geschichtsbildes". Wie sich das erklären lässt, wie der Nationalsozialismus unser Bild vom Bauernkrieg prägt und was vom 500-jährigen Jubiläum zu erwarten ist, darüber haben wir im Interview gesprochen.
"Lange Faszination am Thema"
L.I.S.A.: Herr Professor Schwerhoff, Sie gelten als einer der führenden „Kriminalitätshistoriker“ Deutschlands, sind Experte für die Hexenverfolgung und die Geschichte der Blasphemie. Auf dem Blog Kliotop haben Sie sich zuletzt intensiv mit der Geschichte des Bauernkriegs beschäftigt. Woher rührt Ihr Interesse am Bauernkrieg und seiner Rezeption in der modernen Geschichtswissenschaft?
Prof. Schwerhoff: Es gibt eine systematische und eine biographische Antwort auf diese Frage. In systematischer Hinsicht könnte man sagen, der Bauernkrieg fügt sich ganz gut zu meiner Beschäftigung mit den verschiedensten Formen von Kriminalität und abweichendem Verhalten, mit Hexerei und Häresie, Gewalt und Diebstahl oder Beleidigung und Blasphemie. Der Aufstand des Gemeinen Mannes um 1525 wurde von den Herrschenden als Landfriedensbruch und Verrat kriminalisiert. Dieses Delikt war erst 1502 in der Auseinandersetzung mit einer Bundschuh-Verschwörung ‚erfunden‘ worden und wurde nun auf breiter Front angewandt. Insofern gehört der Bauernkrieg aus kriminalitätshistorischer Perspektive in das große Feld der politischen Kriminalität.
Aber tatsächlich folgt mein Interesse am Bauernkrieg weniger einer konsequenten Forschungsstrategie als einer langen Faszination am Thema, die an den Anfang meiner wissenschaftlichen Biographie zurückreicht. Der Bauernkrieg hat mich schon in meinem 1976 begonnenen Studium beschäftigt. Damals war der Bauernkrieg ein „heißes“ Thema, das 450jährige Jubiläum lag gerade erst zurück, eine Fülle neuerer Publikationen lagen vor oder erschienen gerade. Der Bauernkrieg ließ niemanden kalt: Gestritten wurde vor allem über die Ursachen und über den Charakter der Aufstandsbewegung, und dieser Streit betraf ebenso inhaltliche wie methodische Fragen. Zunächst war ich als Student begeistert vom Thema, davon, dass hier der Gemeine Mann (und manchmal sogar auch die Frauen) im Mittelpunkt standen und nicht allein die Herrschenden, ja dass die Untertanen hier sogar Geschichte machten. Im Laufe der Zeit wuchs bei mir aber immer mehr die Skepsis gegenüber den damals vorherrschenden Deutungen, die mich jetzt veranlassen, mich intensiver mit dem Bauernkrieg zu befassen. Ich bin sicher, dass es da viel zu entdecken und auch geradezurücken gibt.