Von Mai bis Oktober 2017 haben die Kunstwerke der Ausstellung „fern|weh“ die Räumlichkeiten der a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne bereichert. Die Ausstellung des a.r.t.e.s. kunstfensters widmete sich der Sehnsucht, dem Alltäglichen und Bekannten zu entfliehen, der Präsentation von fernen und fremden Lebensräumen sowie der Bereitschaft, diese zu erkunden. Am 27. Oktober wurde die Ausstellung mit Finissage und Künstler-Talk feierlich beschlossen. Drei der beteiligten Künstlerinnen und Künstler – Rozbeh Asmani, Luciano Baccaro und Francesca Magistro – haben uns Rede und Antwort gestanden zu ihren Werken, dem Konzept der Ausstellung und der Zusammenarbeit mit den Kuratorinnen und Kuratoren von a.r.t.e.s.
a.r.t.e.s. Graduate School: Liebe Francesca, lieber Luciano und lieber Rozbeh, seit Mai haben ausgewählte Werke von euch die Wände unserer Graduiertenschule geschmückt. Welche Kunstwerke habt ihr bei a.r.t.e.s. ausgestellt und worum geht es bei ihnen?
Rozbeh Asmani (RA): Für die Ausstellung „fern|weh“ habe ich eine Mini-Werkschau zusammengestellt. Als Einstieg dient die Arbeit „Shirin“ in zwei Versionen, einzeln und mehrteilig. Künstlerischer Ansatz des Multiples Shirin (von farsi = süss; auch ein weibl. Vorname) ist die Transformation eines gebräuchlichen europäischen Motivs eines Genussmittels und dessen semantische Überführung in einen soziokulturellen und politischen nahöstlichen Konflikt. Mit den sinnlichen Implikationen, die der Schokolade inhärent sind und ihrer Verbindung mit einem islamisch-kulturellen geschlechtsspezifischen Symbol, einer verhüllten Frau, kommentiere ich die politische Situation im Nahen Osten und macht diese zugleich sinnlich erfahrbar. Ursprünglich sollte die Schokolade mit einer lilafarbenen Verpackung umwickelt werden. Da aber, wie ich durch die mit dem Druck beauftragte Firma erfuhr, Lila im Zusammenhang mit Schokolade nur für die Marke „Milka“ der „Kraft Foods Schweiz Holding“ zugelassen ist, musste ich den Entwurf farblich modifizieren: aus lila wurde blau. Diese Erfahrung mit dem Markengesetz war der Auslöser für meine bis heute andauernde Recherche von Farbmarken, die beim Marken- und Patentamt angemeldet sind. Sie ist auch die Grundlage für meine Werkserie „Corporate Colours“, eine Serie von Siebdrucken, die markenrechtlich gesicherte Farben in ihrer Anwendung zeigt: die lilafarbene Kuh, der himmelblaue Wolkenhimmel einer deutschen Tankstelle, das Geschmackssortiment eines traditionellen Kaffeeherstellers oder braunes Fahrzeug und Overall eines Transportunternehmens sowie das blaue Rund mit Schriftzug einer Cremedose in arabischen und entfremdeten lateinischen Buchstaben. Ein Blick genügt und wir erinnern nicht nur den Markenzusammenhang, sondern auch Zeit und Umstände unserer Begegnung mit diesen Waren und Dienstleistungen. Nicht nur Farben sind durch den Markenschutz dem Zugriff entzogen, sondern auch für dreidimensionale Formen gibt es die Möglichkeit, Marken zu erwerben. Das Überraschungs-Ei ist nur eins von vielen Beispielen für geschützte dreidimensionale Marken. Auch auf sie verweise ich mit eigenen Arbeiten und eigne mir diese in meinen Kleinskulpturen aus Bronze und Neusilber mit einem Augenzwinkern an.
Luciano Baccaro (LB): Ich hatte die Möglichkeit, drei dokumentarische Fotografie-Projekte auszustellen: „Io parlo italiano“, „Sulla Strada in bicicletta“ und „La Transumanza“, sowie sechs Bilder, die ich 2010 in Berlin aufgenommen habe. Von allen Projekten zeige ich eine Auswahl, die ich zusammen mit dem Team des kunstfensters zusammengestellt habe. Mit Ausnahme von „La Transumanza“ sind alle Projekte Schwarz-Weiß-Fotografien. Ich habe dieses künstlerische Mittel genutzt, weil es einerseits den Betrachterinnen und Betrachtern hilft, sich auf die Subjekte der Fotos zu konzentrieren, und mich andererseits dazu anhält, dass ich mich bei meinem Erleben der Welt auf das Essentielle konzentriere. Meine Fotografien sollen meine Reisen dokumentieren, und besonders die Menschen, denen ich auf ihnen begegne. Sie dokumentieren darüber hinaus meine eigenen Traditionen, denen ich mich besonders verbunden fühle, wenn ich aus dem Ausland zurückkehre. Durch die Begegnungen mit fremden Menschen und das Entdecken neuer Welten spüre ich Dankbarkeit, und die Fotografie ist mein Mittel, um dies auszudrücken.
Francesca Magistro (FM): Ich habe an der Ausstellung mit meinem Projekt „Antisocial hours workers“ teilgenommen, das ich 2013 in Newport, Wales, erarbeitet habe, sowie mit einer Serie von Fotografien, die 2011 in der litauischen Hauptstadt Vilnius entstanden sind. „Antisocial hours workers“ sind Individuen, die zu ‚unsozialen‘ Uhrzeiten arbeiten, also abends oder nachts. Sie betreiben ihre Geschäfte zu Zeiten, in denen sich die meisten anderen Menschen ihrem Sozialleben widmen. Das Ziel meiner Bilderserie ist, die soziale Unsichtbarkeit dieser Menschen zu zeigen, indem ich ihre Identitäten durch genau die Tätigkeiten verschleiere, die sie ausüben. So wird deutlich, wie wir alle von genau diesen Tätigkeiten profitieren, die diejenigen unsichtbar machen, die sie zu solch ‚unsozialen‘ Stunden ausüben müssen. Die Vilnius-Serie spiegelt die Anziehungskraft wider, die diese Stadt auf mich ausgeübt hat, als ich dort war, und ihre Geschichte: die Dörfer, die Feindseligkeit, die Seuchen, die Dürre, die Zerstörung des Zweiten Weltkriegs, die späte Konversion zum Christentum und die politische und soziale Assimilation an Polen. Ich habe versucht, den Erfolg der Unabhängigkeit darzustellen, aber auch die Nachwirkungen der nationalsozialistischen Gewalt, die Deportationen und den Widerstand. Ich wollte die Widersprüche deutlich machen, aber auch die gegenseitigen Bezugnahmen, wie beispielsweise beim Parlament und dem Fernsehturm auf der einen Seite, die beide unter der sowjetischen Herrschaft gelitten haben, und dem modernen Europa Business Center in der Innenstadt auf der anderen Seite. All diese Gebäude sind Zeugnisse von Vilnius’ multikultureller Vergangenheit, haptische Zeugnisse quasi, die sie greifbar machen in den Silhouetten der Gebäude und die fast ein Drittel der Fläche der Hauptstadt ausmachen. Ich habe mir Gedanken gemacht über die Bewohnerinnen und Bewohner, mich gefragt, ob sie isoliert sind oder nicht, ob sie sich zerrissen fühlen zwischen dem Gestern und Heute. Mich haben die Geschichte und das Leben einer Stadt, die immer noch Spuren der kommunistischen Herrschaft trägt, einfach fasziniert.