L.I.S.A.: In Ihrem Buch kritisieren Sie, dass sich die Darstellungen in den heutigen Lagergedenkstätten vor allem an den extremsten Lagerbedingungen orientieren. Was meinen Sie damit und warum ist das problematisch?
Dr. Klei: Um dies problematisch zu finden, muss man vielleicht erst klären, vor welchem Hintergrund man dies tut. Ich ging bei meinen Forschungen davon aus, dass die heutigen Gestaltungen im Gelände dieses in seiner Geschichte kenntlich machen und Aussagen zu den hier stattgefundenen Ereignissen treffen sollen. Ich gehe weiter davon aus, dass es für historisch-politische Bildung notwendig ist, Informationen und konkrete Aussagen zu vermitteln und dann auf dieser Grundlage moralische Wertungen zu diskutieren. Gedenkstätten an einem historischen Ort sollte dabei die Aufgabe zukommen, Aussagen über seine spezifische Geschichte zu vermitteln: Was genau ist hier wo und wann passiert? Dafür eignet sich meines Erachtens eben auch die Präsentation im Gelände besonders. Denn sie ist es, die im Gegensatz zu einer Ausstellung im Museum, die Geschichte verorten kann, Ereignisse konkreten Bereichen zuordnen kann usw. Dies unterscheidet sie von anderen Medien, bietet also die Möglichkeit, vorhandenes Wissen aus anderen Quellen zu erweitern.
Die Auswertung der in den von mir untersuchten Geländen vermittelten Informationen – zumeist die Texte der Informationstafeln, die für diesen Aspekt das wichtigste Medium sind – machte deutlich, dass sich die Darstellungen häufig an den katastrophalen Zuständen während der letzten Monate der Lagerexistenz orientierten und dabei wenig konkrete Angaben vermittelt werden. Damit stellen sie zum einen keine Ergänzung oder Erweiterung bestehender Vorstellungen zu Konzentrationslager her, sie bestätigen: Das waren schlimme und grausame Orte, an denen viele Menschen starben. Diese Vermittlung von Eindrücken massenhaften Elends, vom Leiden und Sterben der Gefangenen bedeutet, dass die Wertung des Unrechtscharakters der KZ über das Extrem, wie schlimm, unmenschlich, elend die Bedingungen und wie grausam und gewalttätig die SS-Angehörigen waren, erfolgt. Damit werden zuallererst allgemeine Vorstellungen von Konzentrationslagern bestätigt und wenige konkrete, ortsspezifische Informationen vermittelt. Man kann vor diesem Hintergrund wenig darüber erfahren und lernen, wie Konzentrationslager funktionierten und wie sie sich entwickelten. Die Komplexität ihrer Geschichte wird ausgeblendet. Es wird kaum deutlich, dass ein Konzentrationslager bereits in der Anlage ein Ort des Unrechts und der Grausamkeit war, unabhängig von den katastrophalen Lebensbedingungen. Natürlich müssen diese thematisiert werden, mir geht es um das Verhältnis, in dem die einzelnen vermittelten Aspekte stehen und die Bilder, die hier erzeugt werden.
Ortsspezifische Eindrücke entstehen allerdings, und hier kommen wir noch einmal auf die Bedeutung von Architektur und aktuell eingesetzten Gestaltungsmitteln zu sprechen, aufgrund der Spezifika der Bausubstanz oder des Verhältnisses, das einzelne Komplexe zueinander haben.
Überrascht war ich von der Ungenauigkeit der vermittelten Aussagen; die historische Forschung ist viel weiter als die Aussagen im Gelände dies vermuten lassen. Hier werden wenige Ereignisse konkret mit den verantwortlichen Akteur/innen vorgestellt, es mangelt an eindeutigen Zahlenangaben oder anderen Daten. Bei beiden Beispielen, Buchenwald und Neuengamme, fehlten im Gelände auch Darstellungen zum Rahmen der Ereignisse, es gab keine konkreten quantitativen Angaben zu den Tätern oder Opfern, die eine Zuordnung vermittelter Information erleichtern würden.
Natürlich sind die Ausstellungen im Gelände nicht die einzige Möglichkeit, sich über die Geschichte des Ortes zu informieren. Audioguides zum Beispiel können eine Ergänzungen sein. Bei den untersuchten Gedenkstätten haben sich hier dann wesentliche Unterschiede gezeigt: Während der Audioguide in Buchenwald die allgemeine Erzählung von Leid und Elend vor allem fortführt und wenige ergänzende Informationen bietet, ist der für Neuengamme komplex und bietet den Besucher/innen die Möglichkeit, zwischen unterschiedlichen Inhalten, wie Bau- und Nachgeschichte oder Aussagen von Zeitzeugen zu bestimmten Orten und Ereignissen, auszuwählen. Dies ist zum einen eine umfangreiche Ergänzung zu dem, was im Gelände auf Tafeln oder mit der Gestaltung gesagt wird, zum anderen macht diese Form der Vermittlung auf einen wesentlichen Punkt aufmerksam, den die Gestaltung des Geländes komplett vernachlässigt: Es ist im Rahmen eines einzigen Besuches kaum möglich, alles über die Geschichte dieses Konzentrationslagers zu erfahren. Die Nutzer/innen des Audioguides müssen sich bewusst für einzelne Inhalte entscheiden und damit andere ebenso bewusst vernachlässigen. Ich halte das für ein sinnvolles Konzept, denn es macht deutlich, dass man sich für Inhalte entscheidet und andere ausblendet.
Dem historischen Ort wird heute im Diskurs zu der Frage, wie man nach dem Ende der direkten Zeitzeugenschaft an die Ereignisse erinnern will, eine hohe Bedeutung beigemessen. Ich denke, dass sich dies in den Gedenkstätten auch in der Form und den Inhalten der vermittelten Informationen widerspiegeln muss.