Hochzeiten sind Rituale, die Übergänge im Leben von Personen und ihren Gruppen regeln. Der Jubiläumsband zum 25-jährigen Bestehen des Instituts für Internationale Kommunikation e.V. in Düsseldorf und Berlin untersucht Formen und Funktionen dieses wichtigen sozialen Rituals in Geschichte und Gegenwart. Fächerübergreifend werden Theorie, historische Entwicklungen, inner- und transkulturelle Bedeutung von Hochzeit und Eheschließung unter kulturwissenschaftlicher Perspektive betrachtet.
Helmut Brall-Tuchel (Hrsg.): Hochzeiten in transkultureller Perspektive
Festschrift zum 25-jährigen Bestehen des Instituts für Internationale Kommunikation e.V., Vortragsreihe der IIK-Abendakademie - Band 4 - herausgegeben von Heiner Barz und Matthias Jung, Düsseldorf (2016), ISBN 978-3-95758-022-1
Inhalt
Andrea von Hülsen-Esch: Grußwort (Seite 7)
Heiner Barz: Vorwort (Seite 11)
Helmut Brall-Tuchel: Jubiläen, Geburtstage und Hochzeiten in transkultureller
Perspektive (Seite 15)
Burckhard Dücker: Rituale: Formen und Funktionen (Seite 25)
Elke Hartmann: Ehe und Eheanbahnung im klassischen Athen und in Rom zur Zeit der späten Republik (Seite 47)
Helmut Brall-Tuchel: Schwierige Hochzeiten in der deutschen Literatur (Seite 73)
Nikolina Burneva: Hochzeiten in Bulgarien (Seite 95)
Ahmet Toprak: Liebe auf den zweiten Blick? Eheoptionen konservativer
türkeistämmiger Männer (Seite 119)
Elisabeth Scherer: Was heißt ‚japanisch‘ heiraten? Gegenwärtige Shinto-Hochzeiten zwischen ‚Tradition‘ und Individualisierung (Seite 141)
Jennifer Kreckel: Heiratsmigration als (letzte) Chance? Zur Bedeutung der Kategorie Geschlecht in der transkulturellen Heiratsmigration (Seite 171)
Autorinnen und Autoren (Seite 195)
Die Beiträge im Überblick
Die Mehrzahl der Beiträge in diesem Band beschäftigt sich mit dem Thema Eheschließung und mit der Hochzeit im engeren Sinne – dem heutigen Wortgebrauch entsprechend. An den Ritualen und Übergangsriten, die stets bei solchen Anlässen zur Aufführung kommen, lassen sich offenbar spezifische Interessen und Gegensätze in den kulturellen Praktiken und Überzeugungssystemen von Gesellschaften besonders gut beobachten. Hier zeichnen sich auch neuere Entwicklungen und die Ablösungen von Traditionen in markanter Weise ab.
Aus diesem Grund wird der Band eröffnet mit einem Beitrag des Heidelberger Ritualforschers Burckhard DÜCKER, der die „Formen und Funktionen“ von Ritualen analysiert und den wissenschaftlichen Diskurs darüber auf den Prüfstand stellt.
Der Beitrag der Darmstädter Althistorikerin Elke HARTMANN untersucht aus Sicht der Geschlechterforschung die antiken Regeln und Verfahren der Eheschließung. Dabei ist von einer kritischen Reflexion des wissenschaftlichen Interesses an der Geschichte von Ehe und Familie auszugehen, dass im Zusammenhang mit der Formierung des bürgerlichen Lebensstils oder mit speziellen Krisenerfahrungen zu sehen ist.
Der Düsseldorfer Altgermanist Helmut BRALL-TUCHEL wirft einen Blick auf die Heiratsdiskurse in der Literatur des Mittelalters. Er stellt eine Reihe von Modellen vor, mit denen die höfisch-aristokratische Gesellschaft über Chancen und Risiken von Übergängen und Allianzen kommunizierte.
Im Beitrag von Nikolina BURNEVA nähern wir uns zunächst mit einem gewaltigen Schritt vom Oligozän dem 18. Jahrhundert und dann in historischen Abschnitten auch der Gegenwart. Die bulgarische Germanistin und Kulturwissenschaftlerin stellt facettenreich die Regelungen der Übergangssituation Hochzeit im Vielvölkerstaat Bulgarien ins Zentrum der Betrachtung.
Rückbesinnung auf traditionelle Rollen und Rituale scheinen hingegen „auf den ersten Blick“ ein stabilisierender Faktor im Leben „konservativer türkischstämmiger“ junger Männer zu sein. Der Dortmunder Erziehungswissenschaftler Ahmed TOPRAK untersucht die „Eheoptionen“ von Migrantenfamilien und setzt sich mit den Erwartungen, Funktionen und mit den Resultaten dieser Konzepte auseinander.
Der Aufsatz der Düsseldorfer Japanologin Elisabeth SCHERER widmet sich dem gleichen Spannungsfeld auf einem anderen Schauplatz. Denn der Konflikt „zwischen ‚Tradition‘ und Individualisierung“ durchzieht auch die japanische Gegenwartsgesellschaft und zeigt seine Auswirkung bis tief hinein in die Populärkultur.
Unter den Stichworten „Geld“ und „Konsum“ drängt sich in unserem Themenzusammenhang namentlich das Phänomen der Heiratsmigration und damit das Motiv der „verkauften“ und „gekauften“ Braut in den Vordergrund. Die Trierer Spezialistin für Heiratsmigration Jennifer KRECKEL zeigt eindringlich, dass auf diesem Gebiet ein Diskurs über Geschlechterbeziehung und Ethnizität ausgetragen wird, der die Männer mit dem Vorwurf konfrontiert, Frauen als Ware zu betrachten, und die Frauen in diesem Geschäft durchweg zu Opfern erklärt.
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ÜBER DIE RITEN – AUS TRANSKULTURELLER PERSPEKTIVE
Ein Review zu:
Hochzeiten aus transkultureller Perspektive. Hrsg. von Helmut Brall-Tuchel, Düsseldorf: University press, 2016
Die ungehinderte Überschreitung der nationalen Grenzen von Personen, Waren, Kapital und Finanzdienstleistungen, begleitet von rascher Informationsverbreitung über die globalen elektronischen Medien, hat sich wesentlich auf eine Reihe sozialer und kultureller Phänomene ausgewirkt. Dies erfordert, dass die Geisteswissenschaften eine systematische und möglichst umfassende Kenntnis über die verschiedenen Aspekte der Globalisierung und deren Einfluss auf das Bewusstsein der Menschen von heute ermöglichen, um potenzielle interkulturelle, internationale und Rassenkonflikte erklären und vermeiden zu helfen. Forschungen über die Konsumgesellschaft, die Ursachen der Migrationswellen, die fortschreitende Verästelung der Gemeinschaften und ihrer unterschiedlichen Sprachen, die neuen und immer vielfältigeren Weisen der Weltwahrnehmung und die Entwicklung der Kommunikationstechniken und -spielarten zwischen den Einzelpersonen im transnationalen Raum – das sind in den letzten Jahren einige der Hauptthemen der Geisteswissenschaften. Als eine Konsequenz daraus wurden nach 1989 an vielen deutschen Universitäten Institute für Interkulturelle Germanistik gegründet und zahlreiche germanistische Konferenzen zu Problemen der interkulturellen Kommunikation veranstaltet.
Ein großer Anteil dieser Forschungen befasst sich mit Phänomenen des Alltagslebens und mit den kulturellen Praktiken einzelner Gemeinschaften, die die multikulturelle Gesellschaft ausmachen. Der Band „Hochzeiten aus transkultureller Perspektive“ bezieht sich auf das Jubiläumskolloquium zum 25-jährigen Bestehen des Instituts für Internationale Kommunikation in Düsseldorf und stellt kulturwissenschaftliche Betrachtungen zu rituellen Praktiken, insbesondere zur Hochzeit in unterschiedlichen Kulturen dar.
Warum gerade das Interesse an Hochzeiten? Das Thema ist sehr aktuell aufgrund des Bevölkerungsschwunds und der Familienkrise – Hauptproblemen der Gesellschaften und künftig auch der Volkswirtschaften in Europa. Die Einstellung zu Hochzeit und Ehe ist heutzutage durch Eitelkeit und Angeberei geprägt und befriedigt in hohem Maße Konsumbedürfnisse, die nicht nur mit der Hochzeitsfeier verbunden sind, sondern auch mit der Vorstellung, den/die Ehepartner/in problemlos wechseln zu können, auch bei kleinstem Unmut oder Missverständnis. Die häufigen Ehescheidungen, zusammen mit der Angst vor der traditionellen rituellen Vereinigung mit dem Partner weisen auf die sich verschärfende Krise der zwischenmenschlichen Beziehungen in einer Welt der zunehmenden Vereinzelung der Individuen, zumal wenn auch die Familie ihre traditionellen Formen verliert.
Die Einordnung der Hochzeitsfeier in einen globalen Zusammenhang ist in den Artikeln leider fast nicht gegeben, dafür umfassen sie ein breites Themenspektrum und einen großen Zeitraum, die hier in Kürze dargestellt seien. Die Konzeption des Buches ist klar ersichtlich aus der Anordnung der Texte: es besteht aus einem theoretischen Teil, gefolgt von Beschreibungen spezifischer kultureller Praktiken aus verschiedenen Kulturräumen. Es wird nicht nur die Gegenwart analysiert, sondern diachronisch auch der von der Antike bis heute eingetretene Ritual- und Wahrnehmungswandel der Hochzeitsfeier. Mit der erfassten weiten Zeitspanne und exemplarischen Fallstudien stellt der Band nicht nur ein interessantes kulturwissenschaftliches Forschungsfeld dar, sondern eröffnet auch neue Perspektiven, die eine Bereicherung der methodischen Ansätze ermöglichen würden. In diesem Sinne ist eine der wichtigsten Aufgaben jeder akademischen Arbeit – neue Ideen und weitere Recherchen anzuregen, erfüllt.
Die Leitgedanken zum thematischen Rahmen sind durch die ersten zwei Artikel von Helmut Brall-Tuchel und Burckhard Dücker vorgegeben. Sie erforschen die Rolle von Ritualen und insbesondere der Hochzeit aus transkultureller Perspektive. Es folgt ein Einblick in die Hochzeitsrituale der griechischen und römischen Antike von Elke Hartmann, die den Einfluss der antiken Hochzeitsrituale auf den Begriff von der bürgerlichen Familie im 19. Jahrhundert charakterisiert. Eine Grundlage für die politische und soziale Bedeutung der Familie in der bürgerlichen Gesellschaft findet die Autorin im Zusammenhang zwischen Ehe und Bürgerstatus in der antiken Polis.
„Hochzeiten in Bulgarien“ bei den größeren Bevölkerungsgruppen des Landes beschreibt Nikolina Burneva in ihrem Beitrag. Die historische Entwicklung des Rituals und die Semantik der Requisiten liegen dieser Analyse zugrunde, die systematische Änderungen in der bulgarischen Gesellschaft nach dem Jahr 1900 bei ihrem Übergang von der traditionellen ländlichen Kultur zu moderneren Stadtlebensformen beschreibt. Die bulgarische Musikfolklore, Gemälde bekannter bulgarischer Maler und das kollektive Wissen über Form und Bedeutung der Hochzeitsrituale veranschaulichen sowohl den Platz von Frauen in der patriarchalischen Gesellschaft, als auch ihre problematische Emanzipation in den Jahren des Realsozialismus. Die Öffnung des Landes hin zu der sich globalisierenden Welt ab 1989 ist weniger ausführlich betrachtet. Da im deutschsprachigen Raum die bulgarische Kultur aufgrund der ungenügenden Informationen über bulgarische Realia zu wenig bekannt ist, bereichern solche Publikationen den Dialog zwischen den zwei Kulturen. In Anbetracht dieses Textes bin ich der Ansicht, dass die Gegenseitigkeit des interkulturellen Transfers eine der Aufgaben der bulgarischen Germanisten sein sollte.
Die beschreibende Methode liegt auch den Beiträgen zugrunde, in denen die türkische (von Ahmed Toprak) und die japanische (von Elisabeth Scherer) Hochzeitsfeier präsentiert werden. Der abschließende Beitrag von Jennifer Kreckel betrachtet die zunehmende Bedeutung der Heiratsmigration. Viele Migrantinnen betrachten die Ehe als Chance für legale Einwanderung in Deutschland. Der Beitrag beschreibt soziologische Aspekte der Ehe-Migration zwischen „Scheinehe“ und dem „Heiratsmarkt“ in der deutschen Gesellschaft.
Dieser Sammelband ist ein gutes Beispiel dafür, wie die globalen Gesellschaftsprozesse anhand der sich wandelnden Formen des Alltagslebens veranschaulicht werden können. Die Änderungen in der Alltagskultur sind ein aufschlussreiches Indiz für die geistige Verfassung einer Gesellschaft und zeigen auf, inwieweit sie neue Wertsysteme entwickelt hat. Die Texte in diesem Band sind nicht an die breite Leserschaft, sondern hauptsächlich an das Expertenpublikum gerichtet, was der größte Nachteil aller aus wissenschaftlichen Konferenzen entwachsenen Bände ist. Wenn sie durch die Massenmedien besser vermittelt werden, könnten einige der informativen Beiträge gewiss auch für die breitere Öffentlichkeit von Interesse sein, weil sie den Leser mit verschiedenen Ausprägungen des Andersseins konfrontieren. Auf diese Weise ermöglichen sie auch den Vergleich mit der eigenen Kultur und eine Selbstreflexion, die Angst, Stereotypen und Vorurteile gegenüber dem Fremden und Unbekannten abzubauen hilft.
Maria Endreva
Übersetzt von Konstantin Angelov
Originaltext in bulgarischer Sprache
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Proglas Jahrgang 26, Heft 1, (2017), S. 165-166.
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"Die Beiträge des Buches vermitteln am Beispiel Hochzeit fachübergreifend Erkenntnisse, wie Feste in unterschiedlichen kulturellen Kontexten begangen und mit welchen Bedeutungen sie in Geschichte und Gegenwart belegt werden. Deutlich wird die Spannbreite an Formen, Funktionen und Deutungszuweisungen, die dem Phänomen Hochzeit innewohnt. Deutlich wird aber auch, dass sich eben diese Formen, Funktionen und Bedeutungen in einer interkulturellen Gesellschaft zuweilen überlagern, nebeneinander bestehen, kollidieren oder amalgamisieren.
[...]
Es ist das Verdienst des Instituts für Internationale Kommunikation, das Potenzial des Querschnittthemas "Hochzeit" erkannt zu haben, welches nicht nur an den Erfahrungshorizont vieler Menschen andockt, sondern sich in hervorragender Weise dazu eignet, kulturelle Vielfalt und kulturelle Transforamationsprozesse sowohl binnen- als auch transkulturell erklärungsstark vor Augen zu führen."
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