Am Freitag, den 7.11.2014, und Samstag, den 8.11.2014, findet im ehemaligen Kreuzherrenkloster Hohenbusch bei Erkelenz ein interdisziplinäres Symposium zum Thema „Heimat in Literatur, Sprache und Kunst – Annäherungen an einen problematischen Begriff“ statt. Referenten aus literatur-, sprach- und kulturgeschichtlichen Fächern aus Deutschland, Polen und Italien halten Vorträge zu Heimatkonzepten vom Mittelalter bis zur Neuzeit. Im Wissen um die Vielseitigkeit und Unabschließbarkeit des Begriffs fragt die Veranstaltung beispielsweise nach Formen der Vergegenwärtigung, der Aufführung und der Darstellung von identitäts- und gemeinschaftsstiftenden Vorstellungsräumen.
Beheimatet zu sein gehört zweifellos zu den menschlichen Grundbedürfnissen. Was aber unter Heimat verstanden wurde und wird, worauf das Heimatgefühl sich gründet und was man als seine Heimat anerkennt, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Darum wird alle „paar Jahrzehnte das Wort Heimat bei uns auf den Prüfstand gelegt, gewogen, gedeutet, erklärt, verrätselt“ (Horst Bienek). Erst recht, wenn Heimat droht verloren zu gehen, rücken die materiellen Aspekte und die spirituelle Ausstrahlung von Heimat wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen Bewusstseins. Die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und der Heimatverein der Erkelenzer Lande e.V. werden sich mit einer dreiteiligen Veranstaltungsreihe an dieser Debatte beteiligen.
Die interdisziplinäre Tagung wird von der Kunstausstellung HeimatZeit (6.11.2014 bis 30.11.2014) begleitet, die sich u.a. mit dem Verlust von Lebensraum und Heimat in der Region Erkelenz durch den Braunkohletagebau auseinandersetzt. Beteiligt an dieser Ausstellung sind Susanne Fasbender (Video, Photographie, Düsseldorf), Till Hausmann (Bildhauer, Düsseldorf), Karl-Heinz Laufs (Bildhauer, Erkelenz), Ursula Ströbele (Textinstallation, Düsseldorf) und Anja Quaschinski (Malerin, Glasgestaltung, Düsseldorf).
Ein Konzert, eine Lesung aus dem Roman „Die Grube“ von und mit Ingrid Bachér und eine Talk-Runde zum Thema „Heimat und Erinnerungskultur“ runden das Veranstaltungskonzept ab. Ein Workshop am Sonntag, den 9.11.2014, mit dem Titel Merkzeichen Heimat widmet sich den spezifischen Aspekten von Heimat im Raume Erkelenz.
Nähere Informationen / Kontakt:
Prof. Dr. Helmut Brall-Tuchel (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf)
Tel.: +49- (0) 211-81-14856
brall@phil-fak.uni-duesseldorf.de
Weitere Informationen: http://tinyurl.com/heimat-tagung
Reaktionen auf den Beitrag
Kommentar
VERANSTALTUNGSBERICHTE
Abschlussbericht zur interdisziplinären Tagung „Heimat in Literatur, Sprache und Kunst – Annäherungen an einen problematischen Begriff“
Heimatbilanzen sind schwer zu ziehen. Die mittelalter- liche Legende vom Heiligen Brendan gibt einen wichti- gen Hinweis: Wenn wir glauben, eine Heimat gefun- den zu haben, sind wir doch nur ‚Aufenthaltnehmer’ auf dem Rücken eines riesigen Fisches, der sich jeden Augenblick bewegen, wieder abtauchen und uns auf dem Meer der Welt zurücklassen kann. Und ebenso
unbestreitbar wie richtig ist das Diktum Jean Amérys: „Es ist nicht gut, keine Heimat zu haben.“
Die von Prof. Helmut Brall-Tuchel (Germanistik III) initiierte Tagung „Heimat in Literatur, Sprache und Kunst“ vom 07. bis 08. November 2014 im ehema- ligen Kreuzherrenkloster hatte sich die Erforschung von Vorstellungen und Bildern von Heimat zum Ziel gesetzt. Neben nationalen und internationalen Wissenschaftlern waren aus der Philosophischen Fakultät Prof. Sibylle Schönborn und Madlen Kazmierczak M.A. (Germanistik II), Dr. Sascha Bechmann und Christian auf der Lake M.A. (Germanistik I) sowie Anke Pe- ters M.A. (Germanistik III) als Referenten geladen.
von links nach rechts: Dr. Sascha Bechmann, Dr. Jürgen Rauter, Prof. Helmut Brall-Tuchel, Prof. Michael Dallapiazza, Prof. Sibylle Schönborn, Christian auf der Lake M.A., Anke Peters M.A., Prof. Walter Delabar, Georg Mölich. Es fehlen: Prof. Woj- tek Kunicki, Madlen Kaszmierczak M.A., Irfan Derin B.A.
10
Philosophische Fakultät Dezember 2014
Die Frageansätze wurden bewusst weit gefasst, um die Problematik aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen und Wissenskulturen heraus zu be- leuchten. Mit starkem germanistischem Schwerpunkt, welcher der Bedeu- tung von Heimat in der deutschen Literaturgeschichte und im Provinzialitäts- denken der deutschen Dichtung Rechnung trägt, wurde das Hauptaugen- merk auf Heimatdiskurse in der älteren und der neueren deutschen sowie der polnischen und jüdischen Literatur gelegt. Überlegungen zum Umgang
mit materiellen Zeugnissen der Überlieferung, zur Semantisierung von patriotischer Musik und zur literarisch-filmischen Aufarbeitung von Heimatver- lust, Migration und Integration flankierten aus der Sicht von Medien-, Kultur- und Musikwissenschaft die germanistischen Ansätze. Während die Bei- träge des ersten Tages den unterschiedlichen Ausprägungen des Heimatbegriffes, seinen wis- senschaftlichen Evaluationen, seinen literaturge- schichtlichen Dimensionierungen, seinen Wand- lungen und gesellschaftlichen Funktionen nach- gingen, wurde das Konzept Heimat in den Vorträ- gen des zweiten Tages, die sich in der Mehrzahl der Moderne widmeten, von verschiedenen Sei-
ten aus kritisch in Frage gestellt. Der schillernde Wortgebrauch resultiert nach linguistischer Auffassung daraus, dass die jeweilige Bedeutung an die aktuell nachgefragten Bedürfnisse angepasst werde, in ideologiegeschichtli- cher Analyse postuliere der Heimatbegriff universale Werte für partikulare Zwecke, seine historischen Kontaminationen dienten stets der Rettung einer überschaubaren Nahwelt, während zunehmend Gegenkonzepte und Pole- miken den Heimatbegriff für obsolet erklärten. Reflexionen zum utopischen Gehalt des Heimatbegriffes in Philosophie und Literaturtheorie des 20. Jahr- hunderts, so das Resümee, zeigten die Fragwürdigkeit eines romantisieren- den Konzeptes ebenso wie die Notwendigkeit, einen in der modernen Le- benswelt tragfähigen Heimatbegriff erst wieder zu entwickeln.
Die Tagung wurde ermöglicht durch Mittel der Gesellschaft von Freunden und Förderern der Heinrich-Heine-Universität e.V., des Instituts für Interkul- turelle Kommunikation e.V., des Heimatvereins der Erkelenzer Lande e.V., der Kreissparkasse Heinsberg und der Stadt Erkelenz.
Text und Fotos: Institut
11
Kommentar
Kommentar
Als Tagung und Publikation zum Thema „Heimat in Literatur, Sprache und Kunst“ Anfang 2014 konzipiert wurden, ahnte niemand, welches Ausmaß Flucht und Vertreibung heute haben und wie emotional das Thema „Heimat“ inzwischen auf allen Kanälen diskutiert wird – bis hin zur Themenwoche „Heimat“ der ARD.
Beheimatet zu sein gehört zweifellos zu den menschlichen Grundbedürfnissen. Doch Heimatgefühle und die Grundlagen von Heimat sind nicht ein für alle Mal festgelegt. Die Erforschung von Vorstellungen und Bildern von Heimat leistet insofern einen wichtigen Beitrag zum historischen Verständnis und zur aktuellen Diskussion.
Die zwölf Beiträge aus unterschiedlichen Wissensbereichen erscheinen im November 2015 als Band 29 in der Schriftenreihe des Heimatvereins der Erkelenzer Lande e.V. (ISBN: 978-3-9815182-7-6, Softcover, 216 Seiten).
Inhalt:
I. Linguistische und literaturgeschichtliche Sondierungen
+ Dr. Sascha Bechmann: "Zur Semantik des Heimatbegriffs. Eine linguistische Ver-Ortung"
+ Prof. Dr. Helmut Brall-Tuchel: "Geistige Heimat. Literarische Grundmuster einer bewohnbaren Welt"
+ Anke Peters M.A.: "Heimatbilanzen im antikisierenden Roman des Hochmittalters"
II. Konstruktion und Dekonstruktion von Heimat
+ Prof. Dr. Walter Delabar: "Heimat, ein Konzept. Oder: Warum Heimat in der modernen Gesellschaft immer noch einen so hohen Stellenwert hat"
+ Prof. Dr. Michael Dallapiazza: "Die Suche nach Heimat in Adornos Noten zur Literatur und in Uwe Johnsons Jahrestagen"
+ Christian auf der Lake M.A.: "Musiksprachliche Überlegungen zu Bedřich Smetanas Heimat-Programm in seiner symphonischen Dichtung Die Moldau"
III. Abschied vom Heimatbegriff?
+ Prof. Dr. Sibylle Schönborn: "Lob der Heimatlosigkeit oder Einspruch gegen ein deutsches Konzept"
+ Dr. Madlen Kazmierczak: "Rück- oder Heimkehr? Der Heimatbegriff der Remigranten in der deutschen Nachkriegsliteratur"
+ Prof. Dr. Wojciech Kunicki: "Steine als Relikte. Inszenierungen von Heimaten"
IV. Heimatverlust: Spurensichtung und Erinnerungsarbeit
+ Dr. Jürgen Rauter: "Irgendwo im Nirgendwo. Auf den Spuren einer ausgelöschten Kulturlandschaft"
+ Irfan Derin B.A.: migration(s)bewegung
+ Prof. Dr. Helmut Brall-Tuchel: "Rückblick auf die Kunstausstellung HeimtZeit im ehemaligen Kreuzherrenkloster Hohenbusch"
Kommentar
Heimatbilanzen sind schwer zu ziehen. Die mittelalterliche Legende vom Heiligen Brendan gibt einen wichtigen Hinweis: Wenn wir glauben, eine Heimat gefunden zu haben, sind wir doch nur ‚Aufenthaltnehmer‘ auf dem Rücken eines riesigen Fisches, der sich jeden Augenblick bewegen, wieder abtauchen und uns auf dem Meer der Welt zurücklassen kann. Und ebenso unbestreitbar wie richtig ist das Diktum Jean Amérys: „Es ist nicht gut, keine Heimat zu haben.“
Die Tagung „Heimat in Literatur, Sprache und Kunst“ vom 7.-8. November 2014 im ehemaligen Kreuzherrenkloster hat sich die Erforschung von Vorstellungen und Bildern von Heimat zum Ziel gesetzt. Die Frageansätze wurden bewusst weit gefasst, um die Problematik aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen und Wissenskulturen heraus zu beleuchten. Mit starkem germanistischem Schwerpunkt, welcher der Bedeutung von Heimat in der deutschen Literaturgeschichte und im Provinzialitätsdenken der deutschen Dichtung Rechnung trägt, wurde das Hauptaugenmerk auf Heimatdiskurse in der älteren und der neueren deutschen sowie der polnischen und der jüdischen Literatur gelegt. Überlegungen zum Umgang mit materiellen Zeugnissen der Überlieferung, zur Semantisierung von patriotischer Musik und zur literarisch-filmischen Aufarbeitung von Heimatverlust, Migration und Integration flankierten aus der Sicht von Medien-, Kultur- und Musikwissenschaft die germanistischen Ansätze. Während die Beiträge des ersten Tages den unterschiedlichen Ausprägungen des Heimatbegriffes, seinen wissenschaftlichen Evaluationen, seinen literaturgeschichtlichen Dimensionierungen, seinen Wandlungen und gesellschaftlichen Funktionen nachgingen, wurde das Konzept Heimat in den Vorträgen des zweiten Tages, die sich in der Mehrzahl der Moderne widmeten, von verschiedenen Seiten aus kritisch in Frage gestellt. Der schillernde Wortgebrauch resultiert nach linguistischer Auffassung daraus, dass die jeweilige Bedeutung an die aktuell nachgefragten Bedürfnisse angepasst werde, in ideologiegeschichtlicher Analyse postuliere der Heimatbegriff universale Werte für partikulare Zwecke, seine historischen Kontaminationen dienten stets der Rettung einer überschaubaren Nahwelt, während zunehmend Gegenkonzepte und Polemiken den Heimatbegriff für obsolet erklärten. Reflexionen zum utopischen Gehalt des Heimatbegriffes in Philosophie und Literaturtheorie des 20. Jahrhunderts, so das Resultat, zeigten die Fragwürdigkeit eines romantisierenden Konzeptes ebenso wie die Notwendigkeit, einen in der modernen Lebenswelt tragfähigen Heimatbegriff erst wieder zu entwickeln.
Die Tagung wurde ermöglicht durch Mittel der Gesellschaft von Freunden und Förderern der Heinrich-Heine-Universität e. V., des Instituts für Interkulturelle Kommunikation e. V., den Heimatverein der Erkelenzer Lande e. V., die Kreissparkasse Heinsberg und die Stadt Erkelenz.
Prof. Dr. Helmut Brall-Tuchel