„Wenn du sagst, einer wohnt in der Walachei, dann heißt das: Er wohnt in der Pampa", heißt es im Roman „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf. In dem Bestseller ist die Walachei Ziel eines Roadtrips zweier Jugendlicher. Schon seit Karl Mays Roman „Der Weg zum Glück“ steht die Region in Deutschland für das ferne Fremde. Und Konrad Adenauer soll einmal gesagt haben: „In Deutz beginnt der Bolschewismus und hinter Kassel die Walachei“. Mihai-Dumitru Grigore stammt aus der Walachei und forscht in Mainz am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte. Im Interview erklärt der Historiker, woher die Redensart kommt und warum die Walachei einst – anders als die Redensart glauben lässt – ein politisches und religiöses Zentrum war.
"Es sah im Lebenslauf nicht gut aus, wenn man in der Walachei gearbeitet hat"
L.I.S.A.: Bis heute greifen wir in der deutschen Sprache auf zahlreiche Sprichwörter und Redensarten zurück, die einen historischen Ursprung haben. Wenn wir ausdrücken wollen, dass etwas in einer abgeschiedenen Region oder an einem verlassenen Ort stattfindet, heißt zum Beispiel, dass der Ort „in der Walachei“ liege, womit die gleichnamige historische Landschaft im Süden des heutigen Rumäniens gemeint ist. Warum benutzen wir den Begriff Walachei im Deutschen so? Und woher kommt der Name Walachei ursprünglich?
Dr. Grigore: Lassen Sie mich mit der letzten Frage beginnen! ‚Walachei‘ bedeutet das Land der ‚Walachen‘. Die ‚Walachen‘ sind eigentlich die Rumänen. Mit dem Begriff ‚Walachen‘ haben die mittelalterlichen Kulturen Mittel- und Osteuropas das Hirtenvolk des Balkans und der Unteren Donau bezeichnet, das sich einer romanischen Sprache bediente. Denn Rumänisch ist eine romanische Sprache, die z.B. dem Italienischen sehr ähnlich ist. Ein Rumäne kann, ohne Italienische gelernt zu haben, schon beim ersten Kontakt mit Italienern auf Anhieb sehr viel verstehen.
Um zu den ‚Walachen‘ und ihrem Land zurückzukommen: Alle nicht-romanisch Sprechenden um sie herum, haben sie als ‚Walachen‘ bezeichnet: Blachoi (Griechisch), Wlachen (Deutsche), Olah (Ungarn) usw. Sie selbst bezeichneten sich als ‚Rumänen‘ (români), wie bereits päpstliche oder genuesische Quellen des 13. Jahrhunderts bezeugen. Ihr Land nannten die Rumänen ‚das Rumänische Land‘ (Țara Românească) oder seltener ‚das Bergland‘ (Muntenia). Da sie überall auf dem Balkan und an der Unteren Donau verbreitet waren, hat man im Mittelalter sozusagen mehrere ‚Walacheien‘, z.B. im bulgarischen oder serbischen Bereich. Das größte von ihnen bewohnte Territorium, die Walachei oder Große Walachei lag jedoch nördlich der Donau, dort wo heute das südliche Rumänien ist. Die Hauptstadt Bukarest des heutigen Rumäniens war beispielsweise zugleich auch die Hauptstadt der Walachei. Andere wichtige ‚Walacheien‘ sind ‚die Schwarze Walachei‘ oder die Moldau und ‚die Kleine Walachei‘ oder Oltenien.
Und somit komme ich zu Ihrer ersten Frage: Oltenien, oder das Land zwischen dem Fluss Olt, den Karpaten, Bulgarien und Serbien, wurde zwischen dem Frieden von Passarowitz 1718 und dem Traktat von Belgrad 1739 von den Österreichern erobert. Für den Ausdruck ‚in die Walachei schicken‘ vermutet man eine österreichische Redewendung aus den Verwaltungskreisen: Für karrierebewusste Leute aus der Politik, Militär usw. stellte eine Katastrophe dar, in die Walachei geschickt zu werden, dort, wo der sprichwörtliche Pfeffer wuchs. Man muss wissen, dass Oltenien, genau wie heute, sehr landwirtschaftlich geprägt war. Es bestand zum Großteil aus riesigen unbewohnten und bewaldeten Gegenden, Einöden, ja sogar Wüstenlandschaften. Keiner hatte also Lust, dorthin versetzt zu werden, denn es gab nicht viel zu sehen, zu tun und es sah im Lebenslauf auch nicht gut aus, wenn man in der ‚Walachei‘ gearbeitet hat.