Jan H. Sachers hat das Fach Geschichte zu seinem Beruf gemacht - aber anders als andere. Der studierte Historiker hat sich selbständig gemacht und bietet Geschichte als Dienstleistung an. Wir wollten von ihm wissen, was er genau macht, ob sich das tatsächlich rechnet und welche Perspektiven er für das Fach Geschichte im digitalen Zeitalter sieht.
"Professionelle Historiker sollten sich stärker im Netz engagieren"
L.I.S.A.: Herr Sachers, das Interesse an Geschichte ist groß, Geschichtsthemen werden seit jeher popularisiert – ob in Romanen, TV-Produktionen oder auch in Spielfilmen. Wie steht es um die Darstellung von Geschichte im Internet?
Sachers: Es gibt hervorragend recherchierte und gut gemachte Romane, TV-Produktionen und Spielfilme, aber es gibt eben auch schlampige, triviale, unkritische, unreflektierte oder schlicht falsche Darstellungen. Genauso ist es im Internet auch. Natürlich wird Geschichte da oft auch popularisiert, doch das finde ich erst einmal gar nicht weiter schlimm. Die Frage ist eben immer, auf welche Weise das geschieht.
Ich finde es sehr begrüßenswert, dass Geschichte im Internet überhaupt stattfindet, und dass es nicht nur öffentliche Einrichtungen sind, die sich hier präsentieren, sondern auch interessierte und oftmals auf ihrem Gebiet äußerst kundige Laien, etwa Heimatforscher oder Darsteller aus dem Bereich living history. Das Angebot ist breit und vielfältig, und es wächst ständig weiter. Das ist gut so, aber natürlich wird es dadurch auch immer schwieriger, sich einen Überblick zu verschaffen. Filme oder Romane dienen der Unterhaltung, nicht der historischen Bildung, doch diese Trennung ist bei Internet-Seiten nicht immer so offensichtlich, seriöse von weniger seriösen Seiten zu unterscheiden ist nicht immer einfach, und da sehe ich durchaus Gefahren, für die ich aber ad hoc auch keine Abhilfe nennen könnte
Für „meine“ Zeit, das Mittelalter und die Frühe Neuzeit, sind unseriöse, trivialisierende oder falsche Darstellungen in erster Linie ärgerlich. Viele Menschen sehen Filme wie „King Arthur“ oder „Kingdom of Heaven“ und glauben dann, so sei das „damals“ gewesen. Dann hat man seine liebe Mühe, zu erklären, dass es „so“ wahrscheinlich nicht gewesen ist, dass die Quellen eine andere Sprache sprechen, dass wir nur interpretieren und versuchen können, den tatsächlichen Umständen und Begebenheiten in unserer Deutung so nahe wie möglich zu kommen.
Im Bereich der Zeitgeschichte hingegen, wenn es um Themen geht, die mitunter sehr stark ideologisch oder auch emotional aufgeladen sind, wie etwa das Dritte Reich, können solche unkritischen oder bewusst verfälschenden Darstellungen natürlich fatale Auswirkungen haben. Deswegen aber das Medium Internet generell zu verdammen und als unseriös, unwissenschaftlich oder trivial zu verurteilen, halte ich jedoch für falsch. Stattdessen bin ich der Ansicht, dass sich professionelle Geschichtsforscher hier viel stärker einbringen sollten – nicht mit dem Versuch, eine Deutungshoheit zu beanspruchen, sondern um die Darstellung von Geschichte im Internet um wichtige Facetten zu bereichern. Das sollte auch im eigenen Interesse sein, will man in der öffentlichen Wahrnehmung präsent bleiben und dem Vorwurf der Abgehobenheit im wissenschaftlichen Elfenbeinturm begegnen.
Ende 2011 wurde eine Studie zur Anzahl von Geschichts-Blogs und bloggenden Historikern/Historikerinnen im deutschsprachigen Raum veröffentlicht. Es waren sehr, sehr wenige! Ich bekenne mich schuldig, auch mein Vorhaben, die Website von HistoFakt um ein Blog zu erweitern, liegt seit Monaten auf Eis, weil ich einfach nicht dazu komme. Aber auch Archive, Museen und andere Institutionen sind nach meinem Dafürhalten viel zu wenig im Web und zum Beispiel in sozialen Netzwerken vertreten. Da gibt es löbliche Ausnahmen, aber offenbar auch viele Berührungsängste und Vorbehalte. In dieser Hinsicht kann ich nur auf die Situation in Großbritannien und den USA verweisen, wo der Umgang öffentlicher Institutionen mit Internet und social media viel unverkrampfter und eigentlich schon selbstverständlich ist.
Es gehört sicherlich ein gewisser Mut dazu, sich einer solchen Diskussion zu stellen, sich unter Umständen auch legitimieren zu müssen, aber für meine Begriffe kann das der Geschichtswissenschaft und ihrem Bild in der Gesellschaft letztlich nur nützen. Ich bin überzeugt, dass „populäre“ und „wissenschaftliche“ Geschichte sehr gut koexistieren und kooperieren, sich auch gegenseitig befruchten können. Dafür bietet sich das Internet geradezu an.