Wie andere Sportarten auch wird der Fußball als Instrument der Völkerverständigung betrachtet, manchmal sogar als solches verklärt. Ein Aspekt, der bisher eher wenig Beachtung gefunden hat, ist dabei die von Eric Hobsbawm genannte Bedeutung, die dem Sport bei der Entstehung von Nationen zukommt: „The imagined community of millions seems more real as a team of eleven named people.“ Auf der 9. Sporthistorische Konferenz Irsee haben die Teilnehmenden aus zeit- und globalgeschichtlicher Perspektive diskutiert, inwiefern Fußball als massen- und medientaugliches Spiel weltweit zu einem zentralen Element und Instrument von Nationenbildung geworden ist. Organisiert und geleitet wurde die Tagung der Schwabenakademie Irsee von Dr. Markwart Herzog. Wir haben ihm unsere Fragen zu der Veranstaltung gestellt.
"Fußball ist zu einer Religion geworden"
L.I.S.A.: Herr Dr. Herzog, in der Schwabenakademie Irsee hatte die 9. Sporthistorische Konferenz stattgefunden – dieses Mal zum Thema „Fußball als Instrument der Nationenbildung“. Wie kam es zu diesem auf den ersten Blick kurios klingenden Thema?
Dr. Herzog: Das Thema mag kurios klingen, ist es aber wahrhaftig nicht. Seit dem Untergang der Sowjetunion haben wir vor allem in den ehemaligen Ostblockstaaten einen massiv grassierenden Nationalismus. Alle Propheten, die von einem postnationalen Zeitalter geträumt hatten, wurden durch diese Entwicklung eindrucksvoll widerlegt. Ob uns das sympathisch ist oder nicht! Peter Alter bezeichnete in einem L.I.S.A.-Interview „Nation“ einerseits als ein „unsichtbares gedankliches Konstrukt“, andererseits aber als „eine Art Ersatzreligion“. Eigentlich ist das ein Widerspruch in sich. Denn das Religiöse ist wahrhaft kein abstraktes Gedankenkonstrukt, sondern eine zutiefst emotionale Dimension menschlichen Lebens.
Genau hier kommt Sport ins Spiel. Bei Länderspielen im Stadion und vor dem Fernsehapparat wird Nation zu einer von intensivsten Gefühlen durchtränkten Größe. Und wenn Sie sich mit den europäischen Fanszenen befassen, drängt sich zwangsläufig der Eindruck auf: Fußball ist zu einer Religion geworden. Vereine werden zu einem alles erfüllenden Lebensinhalt und Sinnstifter vieler Menschen. Politik- und Sozialwissenschaftler subsumieren sowohl den Nationalismus als auch den Fußball unter der Kategorie „Ersatzreligion“. Im Fußball-Nationalismus verschränkt sich beides.