L.I.S.A.: Sie arbeiten seit mehr als zehn Jahren als Politikwissenschaften sehr intensiv zu Südostasien. Was interessiert Sie an dieser Region besonders und wie passt sie in Ihr Forschungsprofil?
Prof. Derichs: Die Region Südostasien ist politisch höchst interessant. Wir finden in dieser Region nahezu alle "System-" oder "Regimetypen" (von Diktatur bis Demokratie), alle Weltreligionen, eine enorme kulturelle, ethnische und religiöse Vielfalt sowie eine erhebliche Bandbreite an Entwicklungserfahrungen (von sehr armen Entwicklungsländern wie Burma/Mynamar bis hin zu sehr fortschrittlichen, reichen Ländern wie beispielsweise Singapur).
Diese Vielfalt ist aus politikwissenschaftlicher Perspektive in vielerlei Hinsicht von großem Interesse - sei es in Bezug auf Fragen, die auch in Deutschland eine große Rolle spielen ("Wie kann religiöse und kulturelle Integration politisch gefördert werden?"), oder eben Fragen, die in Zeiten eines Umbruchs, wie wir ihn derzeit in der arabischen Welt erleben, von Bedeutung sind (also Fragen der politischen Transformation).
In mein eigenes Profil passt sich dies bestens ein, denn ich habe meinen akademischen Weg als Übersetzerin für die Sprachen Japanisch und Arabisch begonnen, d.h. ich bin von jeher sehr "interkulturell" unterwegs gewesen und halte dies auch in der heutigen Welt für eine wichtige Ressource in Forschung und Lehre.
1. Sie arbeiten seit mehr als zehn Jahren als Politikwissenschaften sehr intensiv zu Südostasien. Was interessiert Sie an dieser Region besonders und wie passt sie in Ihr Forschungsprofil?
Die Region Südostasien ist politisch höchst interessant. Wir finden in
dieser Region nahezu alle "System-" oder "Regimetypen" (von Diktatur bis
Demokratie), alle Weltreligionen, eine enorme kulturelle, ethnische und
religiöse Vielfalt sowie eine erhebliche Bandbreite an
Entwicklungserfahrungen (von sehr armen Entwicklungsländern wie
Burma/Mynamar bis hin zu sehr fortschrittlichen, reichen Ländern wie
beispielsweise Singapur). Diese Vielfalt ist aus
politikwissenschaftlicher Perspektive in vielerlei Hinsicht von großem
Interesse - sei es in Bezug auf Fragen, die auch in Deutschland eine
große Rolle spielen ("Wie kann religiöse und kluturelle Integration
politisch gefördert werden?"), oder eben Fragen, die in Zeiten eines
Umbruchs, wie wir ihn derzeit in der arabischen Welt erleben, von
Bedeutung sind (also Fragen der politischen Transformation). In mein
eigenes Profil passt sich dies bestens ein, denn ich habe meinen
akademischen Weg als Übersetzerin für die Sprachen Japanisch und
Arabisch begonnen, d.h. ich bin von jeher sehr "interkulturell"
unterwegs gewesen und halte dies auch in der heutigen Welt für eine
wichtige Ressource in Forschung und Lehre.
>
> 2. Der Islam ist in Südostasien schon seit Jahrhunderten verwurzelt. Was unterscheidet die islamischen Gesellschaften Südostasiens von denen der arabischen Welt?
Indonesien stellt den Staat mit der höchsten Anzahl an Muslimen weltweit
dar. Dies wird häufig ausgeblendet, weil beim Stichwort "Islam" der
Fokus doch immer (nocb) stark auf die arabsiche Welt gerichtet ist. In
Südostasien sprechen wir allgemein von einem "moderaten", sehr
pluralistisch ausgerichteten Islam. Doch dies ist nur eine Seite der
Medaille - wenngleich die, die in aller Regel hervorgehoben wird, um den
südostasiatischen vom arabischen Islam zu unterscheiden. Die andere
Seite der Medaille besteht in einer zunehmenden Radikalisierung des
Islam in Südostasien; die Anschläge auf der Fereieninsel Bali stehen
quasi symbolisch dafür. Die Gesellschaften selbst versuchen dies
teilweise auszublenden und als "eine kleine radikale Minderheit"
darzustellen, doch es sollte nicht unterschätzt werden, dass diesen
Minderheiten auch irgendwo der "geistige Boden" bereitet worden ist.
Insofern stimmt es, dass die Mehrheit der Muslime in der Region
Südostasien tolerant, offen und moderat eingestellt ist, aber es stimmt
ebenfalls, das Radikalisierungstendenzen allgegenwärtig und in dieser
Hinsicht auch signifikante transnationale Verbindungen über die Region
hinaus wirkmächtig geworden sind.
>
> 3. Wie wird der Umbruch in den arabisch-islamischen Ländern in Südostasien wahrgenommen? Wie berichten die Medien darüber?
Der Umbruch ist auch in Südostasien größtenteils ein Grund zu Freude und
Sympathie mit den arabischen Reformbewegungen. Allerdings muss man auch
sehen, dass die Region Südostasien mit dem Sturz der Marcos-Diktatur in
den Philippinen (1986) und der Suharto-Diktaur in Indonesien (1998) auch
ein wenig ein "deja vu" wahrnimmt. Der damalige indonesische
Interimspräsident Habiebie beispielweise hat sich schon recht früh zu
den Transformationschancen in der arabischen Welt geäußert - wohl
wissend, dass eine Demokratisierung in einem Land mit religiöser
Vielfalt keine so leichte Aufgabe ist. Überdies ist Indonesien Mitglied
in der "Organisation of Islamic Conference" (OIC). Auch diese
Organisation stellt ein geeignetes Forum dar, um die Transformation im
geschlossenen islamischen Kreis vor dem Hintergund bereits gemachter
Erfahrungen zu diskutieren - ohne großartige westlich-säkulare
Einflussnahme, wenn man so will. Das entgeht uns in Europa weitgehend,
fürchte ich, und führt auch unweigerlich zu realitätsfernen Prognonsen
und Einschätzungen.
>
> 4. Machen die Umstürze in Tunesien, Ägypten und Libyen Eindruck auf die Machthaber in Malaysia und Indonesien? Könnte sich dort etwas ähnliches abspielen?
Nun, in Indonesien hat sich die Revolution ja 1998 bereits vollzogen.
Indonesien zeigt daher eher umgekehrt einen möglichen Etnwicklungspfad
für die Transitionsstaaten der arabischen Welt auf. Die autoritär
regierten Staaten Südostasiens sind in wachsamer Haltung, denn der Funke
der Rebellion könnte ja auch ohne weiteres überspringen - vor allem
angesichts der prominenten Rolle der sozialen Netzwerke (Facebook usw.).
Die regierungsnahen Medien befinden sich daher in einem Balanceakt
zwischen "Applaus" für den arabischen Frühling und gleichzeitiger
Beschwörung der politischen Stabilität im eigenen Land. Just vor wenigen
Tagen stieß ich noch auf eine Zeitungsmeldung in Malaysia, die eine
Zensur der sozialen Netzwerke als Durchsetzung nationalen Rechts
verstanden wissen will - als Schutz der Bürger - und nicht als Zensur.
Daran erkennt man, dass die Arabellion in einigen Staaten doch auch
Anlss bietet, "vorbeugend" tätig zu werden.
>
> 5. Sie haben sich auch sehr intensiv mit der arabischen Region beschäftigt. Wenn Sie eine Prognose wagen müssten, wohin wird sich der Aufbruch entwickeln? Kehren die alten Machthaber irgendwann wieder zurück und es ändert sich fast nichts? Wird der politische Islam die Oberhand gewinnen? Oder steht die Region vor einer umfassenden Demokratisierung ihrer politischen Strukturen?
Das ist zum jetzigen Zeitpunkt schwer zu prognostizieren. In Tunesien
hatten ja viele Beobachter auf einen Erdrutschsieg der orthodox
islamischen Al-Nahda bei den jüngsten Wahlen zur Verfassungsgebenden
Versammlung gewettet, doch das Gegenteil ist eingetreten. Insofern liegt
Vieles heute im Bereich der Spekulation. Eine Politik ohne Religion
halte ich indes für eine illusorische Vorstellung. Die westliche Welt
hat lange genug die Augen davor verschlossen, dass Religion eine äußerst
determinierende Rolle für politische Prozesse einnimmt (das gilt für die
USA genauso wie für Israel, Palästina, Polen, die Philippinen und viele
andere Staaten auf der Welt). Insofern ist "Islam" nicht wegzudenken aus
dem politischen Geschehen in der arabischen Welt. Die Gretchenfrage ist
vielmehr, inwieweit es den neuen politischen Machthabern - und ich würde
mir wünschen, dass in diesen Reihen beide Geschlechter vertreten wären!
- gelingen kann, Toleranz und Pluralismus zu verinnerlichen und diesen
Gedanken auch auf die Bevölkerungsmehrheit zu übertragen. Ein
Zurück-zu-Punkt-Null wird esnicht geben, aber jenseits dieses Befundes
wage ich kaum eine Prognose.