Unter der Forschungskultur verstehe ich die in einer Disziplin vorherrschenden Modi der Generierung und Kommunikation von Erkenntnis. Die Digitalisierung von Forschungskulturen beinhaltet folglich die Nutzung digitaler Kommunikations- und Medientechniken in Forschung, Lehre, Fachdiskurs und öffentlicher Kommunikation (Nentwich, 1999) sowie die damit verbundenen Folgen für Wissenschaftler, Forschungsinstitutionen, Disziplinen und die Gesellschaft.
1. Wissenschaft wird schneller.
Unbestritten tragen digitale Kommunikations- und Medientechniken zur Beschleunigung von Wissenschaft bei: Die Kommunikation zwischen Forschenden wird erleichtert, zwischen Lehrenden und Studierenden schwinden Kommunikationsbarrieren, Literatur lässt sich effektiv recherchieren und effizient nutzen und auch die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen erfolgt schneller als dies in Zeiten der Gutenberg-Galaxis möglich war.
2. Wissenschaft wird transnationaler.
Digitale Kommunikations- und Medientechniken heben die Beschränkungen räumlich segregierter Wissenschaftsräume weitestgehend auf – die Kommunikation, der Austausch von Daten aber auch die Publikation werden digital stark vereinfacht. In zahlreichen Disziplinen ist transnationale Kollaboration an der Tagesordnung (Donk, 2012). Die Transnationalisierung von Forschungskulturen bedingt, dass nationale Wissenschaftssprachen wie Forschungsgegenstände eine geringere Bedeutung erhalten.
3. Digitale Kommunikations- und Medientechniken werden zu Material- und Formalobjekten der Wissenschaft.
Die Datenerhebung, -prozessierung und -verwaltung verändert sich fundamental: Zahlreiche neue Verfahren von der Online-Befragung bis zum Computerlinguistik werden eingesetzt, immer mehr Forschungsdaten werden frei zugänglich gemacht (Empfehlungen des WR), statistische Analyseverfahren werden avancierter (big data science). Gleichzeitig werden die Inhalte, Nutzungen und Wirkungen digitaler Kommunikations- und Medientechniken zu Objekten einer interdisziplinären Forschung (Webscience, Science and Technology Studies).
4. Wissenschaft bleibt Wissenschaft.
Eins wird sich nicht verändern: Die Gütekriterien von Wissenschaft, denn andernfalls kann sich wissenschaftliches Wissen nicht mehr hinreichend von anderen Wissensformen unterscheiden, seine Robustheit ginge verloren. Deshalb müssen die etablierten Mechanismen der Qualitätssicherung – und das heißt vornehmlich peer review mit all seinen Tücken – Bestand haben. Darüber hinaus werden sich nicht über Nacht und nicht ohne gute Gründe die Wege der Reputationszuweisung in den Wissenschaften ändern – Popularsierung und externe Kommunikation via Social Media Kanäle tragen nicht nur nicht zur Reputation von Forschenden bei, sie können sogar schaden. Publish or Perish gilt nicht absolut, sondern muss auch in Zukunft in Bezug auf die Publikationsart sauber differenziert werden.
5. Die Forschungskultur ändern nicht die Medien, sondern die Forschenden.
Wer will, dass sich die digitale Forschungskultur der Geistes- und Sozialwissenschaft nicht in Effizienzgewinnen bei der Recherche oder Kommunikation mit Studierenden erschöpft, muss zeigen, wie Wissenschaft mit und in digitalen Kommunikations- und Medientechnologien möglich ist. Dabei sind Grenzüberschreitungen – geographisch, disziplinär, methodisch oder eben auch in Bezug auf Darstellung und Format – notwendig und sinnvoll. Doch es ist die Gemeinschaft der Forschenden, die definiert, welche Verfahren, Erkenntnisse und Kommunikation als Wissenschaft gelten. Veränderungen lösen nicht die Medien aus, aber sie können in Wissenschaftstheorie und
-philosophie anstoßen, um die Frage zu klären, was gilt als Wissenschaft im digitalen Zeitalter. Es ist also an uns, diese Frage plausibel und mit den Mitteln der Wissenschaft zu beantworten.