Am 6. August 1945 wurde die Atombombe "Little Boy" über der japanischen Stadt Hiroshima abgeworfen. Es war der erste und - zusammen mit dem Angriff auf Nagasaki - der bislang einzige Einsatz von Atombomben. Bis heute wird dieses Ereignis nicht nur in Japan, sondern weltweit erinnert, denn der 6. August gilt gemeinhin als Beginn des nuklearen Zeitalters. Stefanie Schäfer setzt sich mit dieser Thematik auseinander und stellt die These auf, Hiroshima sei keinesfalls ein homogener Erinnerungsort, sondern von vielen nationalen Erinnerungskulturen und Identitäten geprägt. Im Interview erklärt sie dieses Konzept des Erinnerungsortes und beantwortet Fragen nach dem transnationalen Erinnerungswandel im 20. Jahrhundert, der Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika und der Bedeutung eines Opfernarratives.
"Der Atombombenabwurf bedeutet zugleich den Beginn des nuklearen Zeitalters"
L.I.S.A.: In Ihrem kürzlich erschienenen Buch thematisieren Sie das Atombombenmuseum von Hiroshima und nähern sich dem Forschungsfeld aus einer japanologischen Perspektive. Woher rührt Ihr Interesse an der Thematik?
Dr. Schäfer: Sehr viele Arbeiten über Kriegserinnern in Japan, aber auch über die Atombombenabwürfe und das Gedenken an diese wurden von deutschen Wissenschaftler_innen geschrieben. Wenn man in Deutschland aufwächst, setzt man sich unweigerlich mit der Frage, welche Lehren wir aus der Vergangenheit ziehen müssen auseinander. Und das trägt man dann auch in die Begegnung mit anderen Kulturkreisen – so war das zumindest bei mir und offensichtlich auch bei vielen KollegInnen.
L.I.S.A.: Was wird in diesem Museum erinnert? Der Atombombenabwurf selbst oder der Beginn des nuklearen Zeitalters? Und welche Rolle spielen die hibakusha – also die Überlebenden der Katastrophe?
Dr. Schäfer: Im Selbstverständnis des Museums und der Stadt Hiroshima bedeutet der Atombombenabwurf zugleich den Beginn des nuklearen Zeitalters wie auch seinen (vorerst) tragischen Höhepunkt. Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf dem Abwurf selber, aber das Museum berichtet auch über die Entwicklung der Bombe, die historischen Ereignisse, die zum Krieg und zum Abwurf der Bombe führten, bis hin zur heutigen Bedrohung durch Atomwaffen und die Abrüstungsbewegung. Ziel ist es, auf zivilgesellschaftlicher Ebene die Friedenserziehung und Abrüstung voranzubringen. Daher gibt es zahlreiche Aktivitäten, die die Ausstellung begleiten. Die Überlebenden der Atombombe sind dabei im Laufe der Jahre immer wichtiger geworden. Gerade im Umgang mit Generationen, die weder die Atombombe noch Krieg im Allgemeinen erlebt haben, wurde die Begegnung mit Augenzeugen zu einem wichtigen Instrument. Seit einiger Zeit ist man sich aber zudem bewusst, dass es immer weniger hibakusha gibt. Das hatte Einfluss auf den zweiten Auftrag des Museums, die Bewahrung der Erinnerung. So gibt es nun umfangreiche Bemühungen, die Augenzeugenberichte aufzuzeichnen.