Während der Zeit des Nationalsozialismus emigrierten zahlreiche Wissenschaftler aus politischen Gründen oder aufgrund ihrer jüdischen Herkunft in die Vereinigten Staaten - darunter auch mehrere Historiker, die in den USA ihrem Beruf weiter nachgehen konnten. In dieser besonderen Konstellation begegneten sich deutsche und US-amerikanische Historiker neu. Der Historiker Dr. Philipp Stelzel von der Duquesne University in Pittsburgh hat diese Begegnung und vor allem die daraus resultierende gegenseitige fachliche Beeinflussung untersucht. In seinem Buch History after Hitler fragt er nicht nur, wie die US-amerikanischen Historiker auf ihre deutschen Kollegen und die Geschichtswissenschaft in Deutschland nach 1945 gewirkt haben, sondern auch umgekehrt, was deutsche Historikern bei den Fachkollegen in den USA bewirkt haben. Wir haben ihm dazu unsere Fragen gestellt.
"Deutsche Geschichte und Geschichtswissenschaft in Deutschland und den USA"
L.I.S.A.: Herr Professor Stelzel, Sie haben vor Kurzem ein Buch veröffentlicht, das den aufmerksamkeitsweckenden Titel „History after Hitler. A Transatlantic Enterprise“ hat. Darin zeichnen sie den Transformationsprozess der westdeutschen Geschichtswissenschaft nach 1945 nach und analysieren dabei konkret den Austausch zwischen deutschen und US-amerikanischen Historikern. Ihre Studie ist nicht die erste zur Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft seit 1945. Die Bücher von Winfried Schulze, Georg W. Iggers oder auch Ernst Schulin fallen einem in diesem Zusammenhang gleich ein. Was hat Sie bewogen, sich dieses Themas neu anzunehmen? Was machen Sie anders als Ihre namhaften Vorgänger?
Prof. Stelzel: Die von Ihnen genannten Titel, besonders die Studien von Winfried Schulze und Georg Iggers, sind natürlich nach wie vor einschlägig. Mein Buch unterscheidet sich in zweierlei Hinsicht grundlegend von ihnen: während der Schwerpunkt von Iggers auf dem späten 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert lag und sich Schulze auf die eineinhalb Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs konzentrierte, widme ich mich der gesamten alten Bundesrepublik, von den späten 1940er Jahren bis zur Wiedervereinigung. Insbesondere interessieren mich der Wandel der deutschen Geschichtswissenschaft in den 1960er und 1970er Jahren. Zudem geht es in meinem Buch, wie Sie erwähnten, um deutsche Geschichte und die Geschichtswissenschaft in Deutschland und den USA, während Schulze und Iggers sich auf die deutsche Seite beschränkten.
Was die von Ernst Schulin betonte Hilfestellung amerikanischer Historiker bei der „Modernisierung“ der westdeutschen Disziplin betrifft, so setze ich in meinem Buch andere Akzente: Amerikanische Kollegen waren sicherlich aufmerksame Beobachter der deutschen Geschichtswissenschaft. Aber sie als eine Art intellektuelle Entwicklungshelfer zu begreifen, geht meiner Ansicht nach an der Sache vorbei. In methodischer Hinsicht gab es fraglos Impulse amerikanischer Historiker und Sozialwissenschaftler für die westdeutschen Kollegen. Allerdings fällt auch auf, dass viele amerikanische Deutschlandhistoriker dem Bielefelder Projekt der Historischen Sozialwissenschaft skeptisch gegenüberstanden, auch wenn sie Hans-Ulrich Wehler und Jürgen Kocka als Historiker und auch persönlich sehr schätzten.