Das Rauchen von Zigaretten findet heute nicht mehr in geschlossenen Räumen statt, es sei denn, man befindet sich in einem gesondert ausgeschilderten Raucherraum. Der Gang ans weit geöffnete Fenster, auf den Balkon oder vor die Tür, um eine Zigarette zu rauchen, ist inzwischen gut eingeübte Praxis. Die Raucher scheinen sich daran nicht zu stören und haben die neuen Regeln offenbar leicht akzeptiert. Das verwundert umso mehr, als dass vor nicht einmal einer Generation nahezu überall geraucht wurde, ohne großes Aufsehen zu erregen. Wie ist dieser schnelle kulturelle Wandel im Umgang mit einer lange eingeübten menschlichen Gewohnheit zu verstehen? Die Historikerin Melanie Aufenvenne hat eine Kulturgeschichte des Rauchens geschrieben. Wir haben ihr dazu unsere Fragen gestellt.
"Das Rauchen wird eher sichtbarer und der Raucher zum Ausstellungsobjekt"
L.I.S.A.: Frau Aufenvenne, Sie haben sich mit der Geschichte des Tabakkonsums beziehungsweise des Rauchens beschäftigt. Soweit ich die jüngere Geschichte überschauen kann, gab es in punkto Schnelligkeit und Akzeptanz kaum einen vergleichbaren Wandel in einer menschlichen Alltagspraxis wie beim Konsum von Tabak, insbesondere von Zigaretten. Ich selbst bin noch in den 1970er und 1980er Jahren in Wohnzimmern und Autos aufgewachsen, in denen man die Luft hätte zerschneiden können. Heute ist das Rauchen in Wohnräumen, Krankenhäusern, Universitäten oder Restaurants nahezu undenkbar. Stimmen Sie dieser persönlichen Beobachtung zu? Nehmen Sie das auch so wahr?
Aufenvenne: Persönlich stimme ich Ihnen zu. Fast könnten wir sagen, dass sich eine über 500 Jahre alte und im Verschwinden begriffene, wenn nicht bereits der Vergangenheit angehörende Kulturpraxis wortwörtlich in Luft aufgelöst hat. Unser Blick auf dieses Alltagsphänomen hat sich gewandelt. Vorbei ist die Zeit des ewigen Streits zwischen Befürwortern und Gegnern des blauen Dunstes. Vorbei auch die Zeit, wo das Rauchen Freiheit und Unabhängigkeit versprach.
Raucher stehen wortwörtlich in der ihnen von der Gesellschaft zugewiesenen Raucherecke. Dabei bewirken die Rauchverbote kein Verschwinden dieser Alltagspraxis. Eher im Gegenteil. Dem Rauchen werden klar zugeschriebene Orte vorgegeben. Die gläsernen Raucherkabinen an Flughäfen oder die gelb umrandeten Felder auf Bahnhöfen lassen sich als Beispiele anführen. Dadurch verschwindet die Kulturpraxis nicht. Nein, das Rauchen wird eher sichtbarer und der Raucher für jeden anderen zu einem Ausstellungsobjekt. Diese hervorgehobene Sichtbarkeit des Rauchens erinnert uns, historisch betrachtet, an die Disziplinierungs- und Kontrollinstanzen einer Gesellschaft, die seit dem 18. Jahrhundert zum Tragen kommen.