Die deutsch-deutsche Teilung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wird heute am ehesten mit der Geschichte der Berliner Mauer assoziiert, die West-Berlin von der DDR abriegelte. Nicht weniger von Bedeutung ist jedoch die Geschichte der innerdeutschen Grenze, die die Beziehungen und die Landschaft zur Zeit der deutschen Teilung bestimmte. Prof. Dr. Astrid M. Eckert, Professorin für Geschichte an der Emory University, hat sich in ihrer Forschung mit der innerdeutschen Grenze beschäftigt und eine erste Umweltgeschichte des Grenzgebietes vorgelegt. Im Interview haben wir nicht nur nach der Intention des Forschungsvorhabens, sondern auch nach der Geschichte der Grenze gefragt: Wie wurde die Natur beeinflusst? Gab es Tourismus? Und was ist heute noch von der innerdeutschen Grenze - außerhalb Berlins - sichtbar?
"Auswirkungen der innerdeutschen Grenze auf die ‘alte’ Bundesrepublik"
L.I.S.A.: Sehr geehrte Frau Professor Eckert, in Ihrem Buch beschäftigen Sie sich mit der innerdeutschen Grenze zur Zeit des Kalten Krieges und betrachten diese unter anderem aus einer umwelthistorischen, ökonomischen und kulturellen Perspektive. Geht die Studie auf ein persönliches Interesse zurück? Und wie lässt sich der konkrete Forschungsgegenstand beschreiben?
Prof. Eckert: Ich bin in Niedersachsen im „Zonenrandgebiet“ aufgewachsen, aber diese persönliche Erfahrung war nicht ausschlaggebend für das Buch. Meine Jugend war weniger von der Grenze geprägt als von der Tatsache, dass wir in einem ländlichen Raum waren. Und damit sind wir auch schon mitten drin in der Materie, denn die Fürsprecher des „Zonenrandgebiets“ haben immer gern argumentiert, dass wirtschaftliche und strukturelle Probleme in den Grenzlandkreisen kausal auf die innerdeutsche Grenze zurückzuführen seien. Der Strukturwandel sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Industrie wurde dabei ausgeblendet. Es war eine sehr zweckdienliche Argumentation, die zum Ziel hatte, eine Regionalförderung für das „Zonenrandgebiet“ zu erreichen, auszubauen und beizubehalten.
Mein Buch West Germany and the Iron Curtain fragt nach den Auswirkungen der innerdeutschen Grenze auf die ‘alte’ Bundesrepublik. Es analysiert die wirtschaftlichen Folgen der Demarkationslinie und die damit verbundene Entstehung eines Grenzlandes. Ich nehme eine räumliche Perspektive ein und untersuche, welche Rolle dieses Grenzland in der Geschichte der Bundesrepublik spielte und wie der Prozess der Wiedervereinigung aus der Perspektive des Grenzlandes aussah. Das Kernargument der Studie ist, dass dieses Grenzland entlang der innerdeutschen Grenze der sensibelste Raum der alten Bundesrepublik war. Was immer sich hier abspielte, wurde durch die Nähe der Grenze mit Bedeutung aufgeladen. Ich zeige das in jedem Kapitel auf, aber es wird vielleicht besonders im letzten Kapitel deutlich, in dem es um den Gorleben Konflikt geht. Die unmittelbare Grenznähe von Gorleben fügte der Standortentscheidung eine Dimension hinzu, die sich anschließend auf allen Ebenen der Auseinandersetzung bemerkbar machte: Sie feuerte den politischen Konflikt zwischen Kanzler Helmut Schmidt und Ministerpräsident Ernst Albrecht an (Schmidt war gegen einen grenznahen Ort, Albrecht dafür). Sie zog außerdem die DDR in den Konflikt mit hinein, ein innerdeutscher Nebenkriegsschauplatz, den Schmidt sich gern erspart hätte. Was die Rolle von Lüchow-Dannenberg angeht, zeige ich auf, dass die Vertreter des Landkreises die Standortentscheidung in ihre lange Erfahrung mit der Grenzlandförderung einordneten. Und schließlich wirkte sich die Grenze auch auf den Protest gegen die nukleare Wiederaufbereitungsanlage und das Endlager aus. Aktivisten überschritten die Demarkationslinie und campten auf DDR-Territorium. Damit hatten sie eine medienwirksame Protestform erfunden, die nur im geteilten Deutschland möglich war.