Das Fränkische Freilandmuseum Bad Windsheim stellt auf seinem weitläufigen Gelände ein gut erhaltenes Behelfsheim aus Ottenhofen aus, welches einer ausgebombten Nürnberger Familie während des Weltkrieges ein temporäres Dach über dem Kopf bieten sollte. Eine Ortsbesichtigung mit Dr. Markus Rodenberg beleuchtet einzelne Aspekte dieser Notunterkunft aus der Zeit des Nationalsozialismus sowie die Nachnutzung als Eigenheime über eine Zeitspanne von knapp 50 Jahren und geht der Frage nach, wie temporäre Bauten ihren Weg in Museen finden. Der Ortsbericht entstand im Rahmen des historischen Forschungsprojektes "Build Back Better!" an der TU-Darmstadt, das von der Gerda Henkel Stiftung finanziert wird.
Eine Notunterkunft aus der Zeit des Nationalsozialismus ausstellen
Zu Besuch im Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim
An diesem grauen Dezembertag hätte ein historischer Perspektivwechsel wohl nicht rauer ausfallen können: Der Weg durch Wind und Wetter, über Pfützen und Feldwege führt mich nicht nur an Ort und Stelle, er lässt mich sprichwörtlich am Leibe erfahren, wie es wohl gewesen sein mochte, den Winter über in einem Behelfsheim zu hausen? Auf den ersten Blick wirkt das Gebäude auf mich nur schlecht zum Erdreich hin isoliert.
Einmal mehr machen sich Zweifel bemerkbar, die mich bei den laufenden Forschungen für das von der Gerda Henkel Stiftung geförderte Projekt "Build Back Better!" an der TU-Darmstadt nicht in Ruhe lassen:[1] Wie stabil sollten Notunterkünfte gebaut sein? Wie sehr lassen sich temporäre Lösungen mit langfristig geplanten Wohngebäuden vergleichen? Wie wohnte es sich in Notunterkünften?
Ein Ortstermin im Fränkischen Freilandmuseum in Bad Windsheim soll dem Phänomen der Behelfsheime während des II. Weltkriegs und in der Nachkriegszeit nachspüren und kann dabei auf fachliche Expertise zählen: Dr. Markus Rodenberg, stellvertretender Museumsleiter und Teamleiter des Bereiches Wissenschaft und Sammlung in Bad Windsheim, ist der Autor einer eingehenden Studie zu Behelfsheimen in Franken und Kenner dieses nur wenig bekannten Erbes aus der Zeit des Nationalsozialismus.[2] Eine Führung durch das Behelfsheim sowie ein anschließendes Gespräch mit Dr. Rodenberg eröffnen mir Einblicke in die Baugeschichte des Gebäudes und seiner Musealisierung.
Ein Haus aus Ottenhofen wird für das Museum ab- und wieder aufgebaut
Das Behelfsheim aus Ottenhofen wird im Freilandmuseum wie am Originalstandort von der Straßenseite aus über einen hölzernen Steg und schließlich durch einen angebauten Windfang mit Fenstern betreten. In dem Windfang schreiten wir an gestapelten Holzscheiten und einem Vorratsschrank vorbei, ehe wir uns auf der Türschwelle zum Haus wiederfinden. Der Wohn- und Arbeitsbereich wird von einer teilweise verputzten Holzwand vom Schlafbereich getrennt und besitzt insgesamt zwei Fenster. Der Abort fügt sich wie im Originalzustand an der Außenmauer an. Das Gebäude steht auf einem Streifenfundament, mitsamt eingelassener Vorratsgrube, auf welches die Holzdielen gelegt wurden.
Wie mir Dr. Rodenberg zu meinem Erstaunen versichert, war das Ottenhofener Behelfsheim anders als vergleichbare Bauten aus der Kriegszeit solide und winterfest gebaut. Also war mein erster Eindruck wohl eher dem nasskalten Winterwetter auf dem Herweg geschuldet!
Bauherr des Behelfsheimes war ein ortsansässiger Landwirt. Dieser beauftragte eine regionale Baufirma und quartierte nach Abschluss der Bauarbeiten im Februar 1945 Familienangehörige aus Nürnberg ein, deren Wohnung durch einen Bombenangriff am 02. Januar 1945 erhebliche Schäden erlitten hatte. Der Bruder des Bauherrn überlebte den Angriff nicht. Das Haus blieb bis in die 1990er Jahre bewohnt.[3]
Das Mobiliar ist teilweise im Originalzustand erhalten geblieben, was einen Glücksfall darstelle, wie mir Dr. Rodenberg versichert. So stamme etwa das als Sofa genutzte Feldbett wohl aus Beständen der U.S. Armee. Ebenfalls erhalten sind im Innenbereich eine Nähmaschine, ein Portraitbild, ein Kleiderschrank, ein Regal sowie einzelne Textilien. Ein Eisenofen mit Kochherd (Fundstück aus dem Dachraum), dessen Abzugsrohr und der angeschlossene Kamin bestimmen das Zentrum des Grundrisses.
Das Gebäude mit Satteldach wurde mit einer Grundfläche von 5,5 x 4,7 m aus Bimshohlblocksteinen am Ortsrand von Ottenhofen errichtet und besaß keinen eigenen Garten. Die Bewohner*innen nutzen hierfür eine Fläche außerhalb der Ortschaft. Der eigentliche Wohnraum war also knapp bemessen und wurde nach Möglichkeit mit dicht gedrängten Einrichtungsgegenständen versehen.
Dr. Rodenberg erklärt mir, wie die aufwendige Logistik hinter der Versetzung von Ottenhofen nach Bad Windsheim im Jahr 2015 abgelaufen ist: Zur Vorgeschichte sei zu vermerken, dass eine ehemalige Bewohnerin, die im Behelfsheim aufgewachsenen war, im Jahr 2013 an das Freilandmuseum Bad Windsheim herangetreten sein und auf das Gebäude aufmerksam machte. Aufgrund des einmaligen Erhaltungszustandes habe man sich schließlich dazu entschlossen, das Behelfsheim in den Museumsbestand aufzunehmen und als Bestandteil der sogenannten "Baugruppe 20. Jahrhundert" im östlichen Bereich des Museumsgeländes vorzusehen: „In den allermeisten Fällen bekommen wir Gebäude angeboten. Von Besitzer*innen, die ausgezogen sind. Von Erben, deren Eltern oder Großeltern dort gewohnt haben. Oder das Gebäude steht leer, es gibt keine Nachnutzungsoption. Solche Angebote bekommen wir regelmäßig, im Schnitt durchaus einmal pro Woche kann man sagen“, erläutert Dr. Rodenberg.
Bei der eigentlichen Translozierung seien die Wände des Gebäudes zunächst zerschnitten und in vier Verschalungen transportiert worden. Das Dachgerüst sei in zwei getrennten Elementen nach Bad Windsheim gelangt. Aufgrund des schlechten Erhaltungszustandes seien das Fundament und der Holzboden komplett erneuert worden. Ingesamt seien aber nur wenige der Ausstattungsstücke durch das Team der Museumsschreiner in Bad Windsheim restauriert oder rekonstruiert worden.
Außerhalb des Gebäudes weisen zwei Schautafeln auf die Baugeschichte des Gebäudes hin. Gegenüberliegend auf der anderen Straßenseite befindet sich ein freiliegendes Fundament, das ein weiteres Behelfsheim stützen wird: Dieses stammt aus Steinach an der Ens und wird gegenwärtig restauriert, um in Zukunft als separater Informationsraum für eine Begleitausstellung zur Thematik der Behelfsheime in Franken zu dienen.
Grundlage für das Präsentations- und Vermittlungskonzeptes sind Informationen, die während des Aufnahmeprozesses von Gebäuden in den Museumsbestand erhoben und dokumentiert werden wie Dr. Rodenberg bekräftigt: „Wir versuchen aus allen Blickrichtungen so viel wie möglich über das Gebäude herauszukriegen.“
Eine unter vielen Notlösungen für den Krieg und darüber hinaus
Im Innenraum des Behelfsheimes aus Ottenhofen lenkt Dr. Rodenberg meinen Blick auf zwei markierte Wandflächen, wo Befunduntersuchungen zu den gewalzten Wandverzierungen stattgefunden haben: Auch hier weist der Befund auf mehrere Schichten und damit Überwalzungen hin, die im Laufe der Nutzungsjahre vorgenommen worden seien. Die im Nationalsozialismus vom Deutschen Wohnungshilfswerk (DWH) unter Robert Ley ab 1943 normierten sogenannten Reichseinheitstypen sahen zwar ein Programm zur Steuerung und Bezuschussung dieser Notunterkünfte für Ausgebombte des Luftkrieges mittels sogenannter Baukarten vor, war aber von Beginn an auf die Selbsthilfe der Bauherr*innen angesichts knapper Ressourcen und mangelnder Facharbeiter*innen ausgerichtet.[4] Davon zeugen heute noch die sogenannten Behelfsheimfibeln des DWH, welche zahlreich bebilderte Anleitungen und Erläuterungen für den Eigenbau beinhalteten.[5]
Andererseits entfaltete sich das Behelfsheim im Rahmen von Kompetenzstreitigkeiten und Rivalitäten in der Machtstruktur des Nationalsozialismus. Hinzu kam die Eigeninitiative der Bauherr*innen und Bewohner*innen, die entsprechend für eine Vielgestaltigkeit an Gebäuden sorgte: Einmal beauftragte ein örtliches Unternehmen die Errichtung von Behelfsheimen für seine Belegschaft, anderenorts meldete ein gewiefter Bauherr*in den Bau eines Behelfsheimes lediglich an, um an Baukarten des DWH und an rationiertes Material zu gelangen, ohne das Gebäude jemals fertigzustellen.
So führt eine Beschäftigung mit Behelfsheimen unweigerlich zu einer Mannigfaltigkeit an Notunterkünften, die während des Weltkrieges und in der Nachkriegszeit auf dem Gebiet des ehemaligen Deutschen Reiches von unterschiedlichen Bauherr*innen errichtet, bewohnt und weitergenutzt worden sind. Alle diese Gebäude wurden beispielsweise bei Baugenehmigungsverfahren unter dem Begriff des Behelfsheims geführt, wobei die ursprüngliche Verwendung ausschließlich für Bautypen des DWH vorgesehen war.[6]
Vor Ort im Freilandmuseum Bad-Windsheim fällt mir sogleich auf: Anders als es die Reichseinheitstypen des DWH im Sinne einer ideologisch überhöhten Kleinsiedlungspolitik für die Volksgemeinschaft vorsahen, verfügte das Behelfsheim aus Ottenhofen über keine anliegende Gartenfläche zur Selbstversorgung. Das Gebäude war auch nicht wie anderenorts in eine größere Siedlung von Behelfsheimen eingebettet, sondern befand sich auf dem Grundstück des Bauherrn in unmittelbarer Nachbarschaft eines Wohnhauses. Die Bewohner*innen wurden vielmehr von ihren Verwandten im Dorf versorgt und bestellten einen kleinen Garten am Ortsrand.
Temporäre Architektur aus Krisenzeiten erhalten
Dr. Rodenbergs Studie zeigt eindrücklich: Eine historische Spur der Behelfsheime führt in Gemeinde- und Staatsarchive, in welchen Bauanträge und weitere Schriftstücke im Zusammenhang mit Baugenehmigungsverfahren aufzufinden sind. Diese stammen aus der Zeit des Nationalsozialismus, reichen aber teilweise bis weit in die Zeit der Bundesrepublik hinein, als es vielfach darum ging den ungeklärten Rechtsstatus von Behelfsheimen aus dem Weltkrieg zu regulieren oder gar kommunale Infrastrukturanbindungen, an die nun als Eigenheime bewerteten Gebäude, herzustellen.[7]
Gleichzeitig ist es möglich, an noch existierenden Behelfsheimen Bauforschungen zu betreiben, was beispielsweise die Materialität und die Baugeschichte betrifft. Im günstigsten Fall lassen sich zudem noch Zeitzeug*innen für Interviews gewinnen. Persönliche Objekte wie Fotographien oder Einrichtungsgegenstände, welche sich vielfach noch bei Zeitzeug*innen oder deren Nachfahren befinden, können zur Erforschung sowohl einer Nutzungsgeschichte als auch einer Erfahrungsgeschichte des Wohnens in Behelfsheimen beitragen. Wissenschaftlich betrachtet, dafür macht sich Dr. Rodenbergs Studie stark, bietet die Hausforschung einen interdisziplinären Knotenpunkt für weitere Studien, die den materiellen Gebäudebestand mit der Praxis des Errichtens und Bewohnens verschränken und die Erinnerung an provisorische Bauten als Zugang verstehen.
Angesichts der ausgestellten Ausstattung des Behelfsheimes aus Ottenhofen verstärkt sich mein Eindruck von Dr. Rodenbergs Argumentation: Sobald ein Perspektivwechsel von der Planungsseite auf die Seite der Bewohner*innen geschehen ist, wird es möglich, das Spektrum an unterschiedlichen Notunterkünften über die Nutzungsweisen der Gebäude und die Deutung der Wohnerfahrung durch die Bewohner*innen zu erfassen, zu beschreiben und möglicherweise zu vergleichen. Freilich mag wohl die Kunst einer solchen Unternehmung darin bestehen, durch Akribie und glückliche Umstände nicht nur an das Gebäude zu gelangen, sondern ebenfalls an eine Bandbreite von Quellen, welche eine Nutzungs- und Erfahrungsgeschichte begründen können.
Das Besondere der musealen Situation in Bad Windsheim liegt an dem Gebäude des Behelfsheimes selbst: Es ist größtenteils erhalten geblieben und wurde eben nicht abgerissen, demontiert und anderweitig verwendet oder aber in seiner Gestalt erheblich verändert, etwa durch An- und Umbauten. Zudem blieb es über Jahrzehnte bewohnt und wurde nicht in andere Nutzungsformen überführt. Die Einrichtung wurde aus den Haushalten der Zeitzeug*innen zusammengetragen oder nach Befragungen ergänzt.
Zweifelsohne fügt sich das Behelfsheim aus Ottenhofen in das Ensemble der anderen Wohnhäuser auf dem Museumsgelände. Die schiere materielle Präsenz erlaubt es der/dem Besucher*in das Wirken des Gebäudes in der Nachbarschaft zu anderen Wohnbebauungen in Relation zu setzen, wie Dr. Rodenberg verdeutlicht: „Ein Haus ist ein dynamisches Objekt und je älter das Haus ist, desto offensichtlicher wird das. Wir haben hier Gebäude, die sind über 500 Jahre alt. Diese sind x-fach angepasst, umgebaut, erweitert, renoviert, saniert, Bedürfnissen angepasst, modisch angepasst worden. Ein Haus ist immer auch eine Repräsentationsfläche. Das hat sich bis heute nicht geändert und all diese Spuren kann man mit den Methoden der Haus- und Bauforschung ablesen.“
Das Museumsgelände in Bad Windsheim lädt zu weiteren Erkundungen in der Architekturgeschichte Frankens ein: Bei dem weiteren Rundgang wird mir deutlich, wie fragil genealogische Narrative aus der Rückschau ausfallen können. In den mittelalter- und neuzeitlichen Bauernhäusern sorgte schlichtweg die räumliche Nähe von Mensch und Tier für die nötige Wärme im Winter, nebst Stuben mit Öfen unterschiedlichster Gestalt und Form sowie – ebenfalls eine Überraschung für mich – beheizten Badehäusern für eine größere Öffentlichkeit. Dagegen wirkt der gusseiserne, mit den mutmaßlichen Inschriften der Organisation Todt versehene Ofen aus dem Ottenhofener Behelfsheim unzureichend, ein Sinnbild für das Leid des Weltkrieges und seiner Folgen für die Wohnsituation der Überlebenden: Trotz der winterfesten Bauweise im Vergleich zu anderen Behelfsheimen erschließen sich der/dem Museumsbesucher*in die Enge, das Provisorische und nicht zuletzt die tragische Familiengeschichte der Bewohner*innen, die von Kriegszerstörung, Verlust und Tod sowie langjährigen prekären Wohnverhältnissen gezeichnet war.
Das Museum
Fränkisches Freilandmuseum
Eisweiherweg 1
91438 Bad Windsheim
Tel. 09841 6680 0
info@freilandmuseum.de
Öffnungszeiten:
Hauptsaison (05.03.-30.10.): Mo-So 09-18 Uhr
Nebensaison (31.11.-11.12.): Mo-Sa 10:30-16 Uhr, So + Feiertage 10-16:30 Uhr, ab 07.11. montags geschlossen