Auslandskorrespondenten stehen nicht selten an vorderster Front, an Schauplätzen von Kriegen oder Katastrophen, meist in den alltäglichen Irrungen und Wirrungen von Weltpolitik und internationaler Diplomatie. Während des Kalten Krieges verlief eine solche Front mitten durch Europa: der Eiserne Vorhang. Weit jenseits dieser Front, mitten im Herzen des Sowjetkommunismus, in Moskau, lebten und berichteten westliche Journalistinnen und Journalisten für das heimische Publikum. Welche Handlungsspielräume die Korrespondenten vor Ort hatten, welche Rolle sie in den Propagandaschlachten des Kalten Krieges einnahmen und in welcher Kontinuität die Kommunikationspolitik der Regierung Putin dazu steht, darüber sprachen wir mit der Osteuropahistorikerin Dr. Kirsten Bönker.
"Wichtige Mittler der Verflechtungen, Abgrenzungen und Annäherungen über den Eisernen
Vorhang hinweg"
L.I.S.A.: Frau Dr. Bönker, Sie forschen und lehren an der Universtität zu Köln zur Geschichte Osteuropas mit Schwerpunkt auf dem Russischen Zarenreich und der Sowjetunion. In Ihren jüngsten Forschungen haben Sie sich mit den westlichen Korrespondenten im Moskau beschäftigt. Diese erfahren nicht zum ersten Mal Aufmerksamkeit, so führte Lutz Mükke vor einigen Jahren Interviews mit zahlreichen ehemaligen Korrespondenten, viele andere haben ihre Erlebnisse selbst in Biografien festgehalten und publiziert. Was hat Sie auf das Thema gebracht, welche Lücken konnten Sie in der Forschung ausmachen und welchen methodischen Ansatz haben Sie für Ihre Forschung gewählt?
Dr. Kirsten Bönker: Das ist richtig – Korrespondenten und die ganz wenigen Korrespondentinnen –, die im Kalten Krieg in Moskau gearbeitet haben, erfahren nicht zum ersten Mal Aufmerksamkeit. Insbesondere Julia Metger und Dina Fainberg haben auch westdeutsche bzw. amerikanische Korrespondentinnen in Moskau untersucht. Dennoch stellen Korrespondent:innen – wie die Mediengeschichte allgemein – in der Geschichte des Kalten Krieges ein bislang eher randständiges Forschungsthema dar. Das überrascht, weil neuere kulturgeschichtliche Studien eindrucksvoll zeigen, dass beide Lager im Systemwettbewerb des Kalten Krieges mit Mitteln der soft power und der cultural diplomacy um Einfluss rangen. Mediengeschichtliche Perspektiven versprechen daher zusammen mit Ansätzen der Neuen Politikgeschichte Erkenntnisse darüber, wie der Wettbewerb um die ‚hearts and minds‘ der Menschen in aller Welt nicht zuletzt über die Medien ausgetragen worden ist. Dabei liegt auf der Hand, dass die es die Korrespondent:innen waren, die auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs das Bild der ‚Anderen‘ besonders prägten, gesellschaftliche Entwicklungen und das politische Handeln deuteten. Gerade Korrespondent:innen, die aus Moskau, London, Paris oder Washington berichteten, waren mit der steigenden Verbreitung des Fernsehens in der medialen Öffentlichkeit zunehmend präsent und erlangten eine starke Deutungsmacht. Denken Sie nur an Werner Höfers Internationalen Frühschoppen, in dem von Beginn an Moskau-Korrespondenten wie Gerd Ruge ihre Sicht der Weltpolitik dem wachsenden Fernsehpublikum erläuterten. Aus meiner Sicht als Osteuropahistorikerin stellen die Korrespondent:innen eine besonders spannende Akteur:innengruppe im Kalten Krieg dar, weil sie zu den ganz wenigen Personen gehörten, die vor Ort lebten und in den Kontakt- und Annäherungszonen des Kalten Krieges agierten. Indem sie über neben den Ereignissen und Prozessen der ‚großen‘ Politik auch über das sowjetische Alltagsleben berichteten, waren sie wichtige Mittler der Verflechtungen, Abgrenzungen und Annäherungen über den Eisernen Vorhang hinweg. So haben sie maßgeblich den Kalten Krieg und den Systemwettbewerb ausgeleuchtet, ihn gleichzeitig mit konstruiert und für das Publikum in ihren Heimatländern erfahrbar und interpretierbar gemacht. Diese Perspektive lässt sich nicht nur aus westlicher Sicht aufwerfen, denn die westlichen Korrespondent:innen waren auch sowjetischen Zeitungsleser:innen durchaus bekannt, sobald sie Objekte politischer Kampagnen wurden. Die sowjetische Seite beobachtete nämlich die Berichterstattung sehr genau und hatte eine eigene Abteilung im Außenministerium, die die Korrespondent:innen betreuten. Sie hatten also herausragende Positionen in den innen- und außenpolitischen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den westlichen Staaten inne, ohne eine homogene Gruppe zu sein. So waren bereits die politischen Bruchlinien zwischen kommunistischen und nicht- kommunistischen Korrespondent:innen, die aus demselben Land stammten, offensichtlich. Die meisten waren in den spezifisch nationalen Kontext ihres Heimatlandes eingebunden, der sich durch bestimmte innenpolitische Konstellationen, Publikumsinteressen, sozio- ökonomische und diplomatische Beziehungen zur Sowjetunion von anderen Ländern unterschied. Daher analysiere ich die vielschichtigen innen- und außenpolitischen Verflechtungen, Interaktionen und Konflikte des Kalten Kriegs über die Korrespondent:innen und ihre Berichterstattung. Mit der vergleichenden Perspektive auf die Bundesrepublik, Frankreich und die USA misst das Projekt das Spektrum der unterschiedlichen innen- und außenpolitischen Konstellationen aus, um die jeweiligen nationalen Spezifika aufzuzeigen: eine starke kommunistische Partei in Frankreich, die Existenz zweier deutscher Staaten, die bundesdeutsche Entspannungspolitik, die Supermachtkonkurrenz oder die traditionell eher anti-russische Stimmung in Großbritannien. Die letztlich nationale Verankerung der Korrespondent:innen wirft zugleich die Frage nach medialen Transnationalisierungseffekten auf. Inwieweit trugen sie dazu bei, eine europäisch-transatlantische oder zumindest transnationale Öffentlichkeit zu konstituieren? Außerdem geht es darum, inwiefern letztlich nationale Besonderheiten eine „westliche“ Perspektive auf die Sowjetunion dominierten.
Reaktionen auf den Beitrag
Kommentar