Die populärhistorischen, aber auch fachwissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit der 1968er Studentenbewegung sind zahlreich. Kaum beachtet wurde bei diesen Überlegungen jedoch die Gefühlskultur der Bewegung: Wie beeinflussten Emotionen das politische Handeln innerhalb der 1968er Bewegung? Dieser Frage ging Dr. Stefanie Pilzweger-Steiner in ihrer Dissertation nach. War die Studentenbewegung männlich codiert? Welche Rolle kam den Frauen zu? Im Interview stellten wir ihr unter anderem Fragen nach dem Verhältnis von Männern und Frauen innerhalb der 68er-Bewegung und wie die These einer männlich codierten Protestbewegung mit der aufkommenden Frauenbewegung der 1970er Jahre einhergeht.
"Männliche Akteure dominierten die Protestkultur zahlenmäßig und inhaltlich"
L.I.S.A.: Populäre und fachwissenschaftliche Publikationen zu 1968 gibt es zahlreiche, es scheint, als hätte jeder Aspekt der Geschehnisse inzwischen Beachtung gefunden. Sie konzentrieren sich in Ihrer Forschung jedoch auf eine Emotionsgeschichte der Bewegung. Was hat sie motiviert, sich mit der 68er-Bewegung zu beschäftigen? Gibt es vergleichbare Studien, die Ihrer vorausgingen?
Dr. Pilzweger-Steiner: Die Geschichte der Gefühle als junges und produktives Forschungsfeld hatte sowohl in empirischer, als auch in methodisch-theoretischer Hinsicht bis dahin kaum Eingang in das in der Tat sehr umfangreiche Repertoire an Publikationen zur 68er-Bewegung gefunden. Gerade im Bereich des kollektiven politischen Protests eröffnet sich eine ganz neue Forschungsperspektive, wenn die verhaltenssteuernde Rolle von Emotionen und deren soziale Konstituierungsprozesse in das Zentrum der Untersuchung gerückt werden. Mich hat interessiert, welche Rolle kollektive Gefühle bei der Entstehung, in der Hochphase und beim Niedergang der Protestbewegung spielten. Dazu habe ich das antiautoritäre Milieu als emotionale Gemeinschaft betrachtet, die in Abgrenzung zur Mehrheitsgesellschaft eigene emotionale Stile und Standards entwickelte. Da männliche Akteure die Protestkultur zahlenmäßig und inhaltlich dominierten, war für mich zudem die Frage spannend, inwieweit die Gefühlskultur der „68er“ auch von maskulin codierten „Regeln“ des Fühlens geformt und dominiert wurde.