Zum 200. Geburtstag von Karl Marx haben sich Pop- und Konsumwelt geradezu überschlagen. Von der Marx-Skulptur, über den Marx-Kaffeebecher, bis zum Marx-Einkaufschip - in den Läden dieser Welt gab es kaum einen Gegenstand, der nicht mit dem Portrait des Jubilars versilbert werden sollte. Er selbst hätte sich mit Blick auf kapitalistische Aneignungs- und Verwertungslogiken sowie der Theorie vom Warenfetisch vermutlich mehr als bestätigt gefühlt. Aber gilt dies auch für seine Überlegungen über die Natur des Menschen? Was gehört für einen Menschen zu einem guten und gelingenden Leben? Entlang dieser Fragestellung hat der Philosoph Prof. Dr. Michael Quante von der Universität Münster Karl Marx neu gelesen und darüber einen Band veröffentlicht. Wir haben ihm dazu unsere Fragen gestellt.
"Ethische Annahmen im Rahmen einer philosophischen Anthropologie"
L.I.S.A.: Herr Professor Quante, Sie haben zum diesjährigen Karl Marx-Jubiläum einen Band herausgegeben, der den Titel „Der unversöhnte Marx. Die Welt in Aufruhr“ trägt. Inwiefern hat Marx der heutigen Welt, die sich nach Ihrer Einschätzung in Aufruhr befindet, noch etwas zu sagen? Worin sehen Sie Marx‘ Aktualität begründet?
Prof. Quante: Dass sich die Welt derzeit in Aufruhr befindet, ist sicher nicht nur meine Einschätzung. Die Aktualität von Marx angesichts der vielen Unruheherde und Probleme sehe ich in seiner kritischen Analyse des Kapitalismus, der in seinen Augen ein misslingendes menschliches Leben darstellt. Diese normative Kritik beruht bei Marx auf ethischen Annahmen, die er im Rahmen einer philosophischen Anthropologie entfaltet hat. Diese philosophische Konzeption liegt auch seiner im engeren Sinne ökonomiekritischen Analyse zugrunde, die er in seinem Hauptwerk „Das Kapital“ vor gut 150 Jahren erstmals veröffentlicht hat.