Die sogenannte Flexibilisierung des Arbeitsmarktes durch politische Maßnahmen wie beispielsweise die Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz I-IV) haben zahlreiche ehemals sozial abgesicherte Arbeits- und Lebensverhältnisse prekarisiert. Seitdem konkurrieren nicht mehr nur die Interessen von Arbeitnehmern mit denen der Arbeitgeber, sondern die der fragmentarisierten Arbeitnehmer untereinander. Der Politikwissenschaftler Dr. Philip Rathgeb von der Universität Konstanz spricht in diesem Zusammenhang von den Insidern und den Outsidern der Arbeitswelt. Während die Insider in Vollzeit und unbefristet beschäftigt sind, haben Outsider keinen Arbeitsplatz oder befinden sich in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Dr. Philip Rathgeb fragt in seiner Forschung nach dem Einfluss gesellschaftlicher Akteure aus Politik und Gewerkschaften auf das Entstehen neuer sozialer Ungleichheiten und hat seine Ergebnisse zuletzt in einem neuen Buch veröffentlicht. Wir haben ihm dazu unsere Fragen gestellt.
"Prekarisierung ist kein unveränderbares Naturphänomen"
L.I.S.A.: Herr Dr. Rathgeb, Sie haben sich als Politikwissenschaftler eines Forschungsthemas angenommen, das ein altes Thema ist: soziale Ungleichheit und ihre Ursachen. Warum noch einmal eine Forschungsarbeit über soziale Ungleichheit? Welche Beobachtungen und Vorüberlegungen gingen der Untersuchung voraus?
Dr. Rathgeb: Meine Vorüberlegung war, dass die Erosion des „Normalarbeitsverhältnisses“ (Vollzeit, unbefristet) zu einer neuen Polarisierung führt. Die Flexibilisierung der Arbeitswelt kann zwar einerseits mit mehr Autonomie im Arbeitsleben verbunden sein: Zeitstrukturen sind weniger starr, Projekte weniger ortsgebunden, berufliche Umstiege erleichtert. Andererseits bedeutet sie aber für eine wachsende Gruppe an Menschen nicht Autonomie, sondern Prekarität: nicht-armutsfeste Löhne, geringe Arbeitsplatzsicherheit, unzureichende (oder keine) Absicherung bei Erwerbslosigkeit oder im Rentenalter.
Die bestehende Forschung hat wichtige Erkenntnisse zu den unterschiedlichen Formen dieser Ungleichheiten am Arbeitsmarkt entdeckt. Allerdings sind die politischen Ursachen dahinter weit weniger klar. Schließlich ist die eben angesprochene Prekarisierung kein unveränderbares Naturphänomen, sondern wird durch politische Entscheidungen erst möglich. Vor diesem Hintergrund habe ich dieses Buch geschrieben: Ich wollte herausfinden, unter welchen Bedingungen, politische Akteure diese neue Form von Ungleichheit verschärfen bzw. verringern.