Zu Zeiten des Kalten Krieges hörte oder las man immer wieder von den sogenannten "Blockfreien". Verbunden waren mit diesem Begriff Staaten wie Jugoslawien, Kuba, Indien oder Ägypten sowie Staatsmänner wie Josip Broz Tito, Fidel Castro, Jawaharlal Nehru oder Gamal Abdel Nasser. Heute scheint die "Bewegung Bündnisfreier Staaten" aus der internationalen Politik verschwunden zu sein - spätestens nachdem sich auch Ost- und Westblock aufgelöst hatten. Die Realität aber sieht anders aus. Die Bewegung der Blockfreien zählt heute so viele Mitglieder wie nie zuvor. Warum ist das so? Der Historiker Jürgen Dinkel von Universität Gießen hat sich der Geschichte dieser Bewegung angenommen und darüber promoviert. Nun ist seine Dissertation erschienen. Wir haben ihm unsere Fragen gestellt.
"Das Faszinierende an der Bewegung ist die enorme Heterogenität ihrer Mitglieder"
L.I.S.A.: Herr Dr. Dinkel, Sie haben im Rahmen Ihrer Dissertation zur Bewegung Bündnisfreier Staaten geforscht. Wie kamen Sie zu diesem Thema? Was war Ihr leitendes Interesse? Und: Wieso heißt es bei Ihnen „bündnisfrei“ und nicht „blockfrei“? Sind das in diesem Fall Synonyme oder steckt da begrifflich mehr dahinter?
Dr. Dinkel: Am Anfang meiner Dissertation stand das Interesse an Fragen der internationalen Geschichte. Dirk van Laak verdanke ich in diesem Zusammenhang die Anregung, mir die Bewegung Bündnisfreier Staaten als konkreten Untersuchungsgegenstand näher anzusehen.
Das Faszinierende an der Bewegung ist die enorme Heterogenität ihrer Mitglieder. Neben den bekannteren Staaten wie Indien, Ägypten oder Kuba gehören zu den Bündnisfreien politisch, ökonomisch und kulturell so unterschiedliche Länder wie das reiche, voll „entwickelte“ Singapur, „gescheiterte“ Staaten wie Somalia oder Afghanistan, dem Westen zugewandte Demokratien wie die Philippinen, das kommunistische Nordkorea, eine ganze Reihe von Mikrostaaten, das ölreiche Saudi-Arabien und die „ärmeren“ Staaten des südlichen Afrikas. Auf den ersten Blick konnte ich mir nicht erklären, was diese Staaten zusammenbrachte und welche gemeinsamen Ziele sie verfolgten. Aus diesem Nicht-Verstehen heraus formulierte ich schließlich die zentralen Fragestellungen der Arbeit: Warum kam es zur Entstehung der Bewegung Bündnisfreier Staaten, wie sah der Formierungsprozess der Bewegung aus und was hielt und hält diese Staaten bis heute zusammen?
Die Terminologie spielt bei der Beantwortung dieser Fragen tatsächlich eine wichtige Rolle. „Bündnisfrei“ und „Blockfrei“ stellen zunächst zwei Übersetzungen des Begriffs „Non-Alignment“ dar, mit dem die Bündnisfreien im Englischen ihre Politik bezeichneten. Unter einer „non-aligned policy“ verstanden die Regierungen bündnisfreier Staaten eine Politik, die nicht nur die Überwindung der Militärpakte des Kalten Krieges, sondern grundsätzlich die vollständige Unabhängigkeit ihrer Staaten von militärischen, politischen und ökonomischen Zwängen zum Ziel hatte.
Vor diesem Hintergrund reduziert der Begriff der „Blockfreiheit“ meines Erachtens die bündnisfreie Politik auf ihre Distanz zu den Militärpakten des Kalten Krieges. Das heißt bereits der Begriff legt eine Deutung der Bewegung als Produkt des Ost-West-Konfliktes nahe, die ich in meiner Studie erst untersuchen und nicht von vorneherein annehmen wollte. Demgegenüber kommt der Kern einer bündnisfreien Außenpolitik im Begriff der Bündnisfreiheit deutlicher zum Ausdruck und zugleich legt er weniger stark eine wertende Deutung der Bewegung fest.
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