Das Motto des 35. Deutschen Kunsthistorikertags „Zu den Dingen!" wurde sogleich in einer der ersten Sektionen auf den Punkt gebracht. Das Forum „Angewandte Künste – Schatzkunst, Interieur und Materielle Kultur,“ eine Fortführung der auf dem Kunsthistorikertag in Dresden (2017) initiierten Diskussion, möchte den Blick auf das von der akademischen Kunstgeschichte vernachlässigte Kunsthandwerk und die von dieser Kunstgattung hervorgebrachten „Dinge" richten.
Historisch begründet, wie Ariane Koller anschaulich darlegt, ist die Trennung zwischen angewandten und „schönen“ Künsten in der Frühen Neuzeit. Bereits Giorgio Vasari hatte für das Geistig-Intellektuelle und die Aufwertung der künstlerischen Tätigkeit durch das Leitprinzip des Disegno plädiert, um die Malerei, Bildhauerei und Architektur unter den artes liberales zu etablieren. Die Goldschmiede-, Drechsel- und Glasmacherkunst, um nur wenige Beispiele zu nennen, fielen hingegen aufgrund ihrer stärker handwerklich ausgerichteten und auf das Material orientierten Arbeitsweise immer weiter davon ab. In den sich neu formierenden Akademien hatte das Kunsthandwerk keinen Platz. Der in der der ästhetischen Philosophie der Aufklärung aufkommende Begriff der „Schönen Künste“ grenzte die Malerei und Bildhauerei nun auch sprachlich von den angewandten Künsten ab. Im 19. Jahrhundert kam es zu einer gattungsorientierten Neusortierung von Sammlungen, die einen radikalen Bruch mit den frühneuzeitlichen Kunstkammern markierte, in denen naturalia, artificialia jeder Art und scientifica nebeneinandergestellt wurden. Man gab das kosmologische Sammlungsprinzip zu Gunsten einer hierarchischen Trennung der Gattung auf. Die Arts-and-Crafts-Bewegung thematisierte diese Diskrepanz, wenngleich die Etablierung und Kanonbildung der Gattungshierarchien unaufhaltsam fortschritt. Im heutigen Forschungsinteresse spiegelt sich dies immer noch wider. Lange Zeit ist es nur zu einer marginalen Auseinandersetzung mit den Angewandten Künsten gekommen. Koller attestiert bei der Auseinandersetzung mit Objektkunst gar eine „wissenschaftliche Scheu.“
Das in Dresden formierte Forum möchte die bestehenden Hierarchien in Frage stellen. Es handelt sich hierbei um einen Anachronismus, der sich erst während der Genese des Fachs Kunstgeschichte als akademische Disziplin herausgebildet hat. Eine Kategorie, die dies anschaulich illustriert, ist die des tatsächlichen, materiellen Wertes von Kunstwerken. Matthias Müller präsentiert in seinem Beitrag ein Beispiel dieser Werteverschiebung anhand eines Blicks auf die Preise auf dem zeitgenössischen Kunstmarkt. Über das Auktionshaus Lempertz wurde ein aufwändig gestalteter Antwerpener Kabinettschrank mit Pietra Dura-Elementen aus dem 17. Jahrhunderts für 43.000 € versteigert. Die monochrome Arbeit „Achrome“ von Piero Manzoni aus dem 20. Jahrhundert erzielte hingegen 844.000 €. Aus dieser provokanten Gegenüberstellung geht die derzeitige Geringschätzung der Angewandten Kunst gegenüber der (zeitgenössischen) Malerei hervor. Dass dies nicht der historischen Realität entsprochen hat, zeigt Müller anhand eines weiteren Beispiels, basierend auf Berechnungen von Dirk Syndram. So waren in der Frühen Neuzeit und im Barock Preise für Objektkunst oftmals weit höher angesetzt als die der Malerei. Für Prunkkannen, Lavabogarnituren und repräsentative Pokale zahlten Fürsten ein Vielfaches (im hier gezeigten Beipiel knapp 3000 Reichstaler) verglichen mit Gemälden, wie etwa Rubens‘ berühmtes Werk „Der gefesselte Prometheus“, das 1618 für gerade einmal 375 Taler verkauft wurde. Birgitt Borkopp-Restle führt in ihrem Beitrag ein prominentes Beispiel an, das im Verständnis der akademinschen Kunstgeschichte überraschend erscheint. Die Tapisserien in der Sixtinischen Kapelle, die in Brüsseler Werkstätten nach den Entwürfen Raffaels angefertigt wurden, übertrafen die Kosten für die berühmten Fresken Michelangelos um das Fünffache. Der hier bereits anklingenden Kategorie der nicht immer leicht zu bestimmenden Autorschaft eines Werks (Entwurf vs. finale Ausführung) wird eine Tagung des Fachforums im kommenden Winter (28.-30.11.2019) in Bern gewidmet sein.
Zahlreiche derartige Beispiele für die ursprüngliche Wertschätzung der Angewandten Kunst lassen sich aus den Archivdokumenten zur fürstlichen Auftrags- und Ankaufspraxis anführen. Die Fürsten der Frühen Neuzeit schätzten das Kunsthandwerk und betätigten sich, wie etwa Kurfürst August von Sachsen, selbst in der Objektkunst. Auch Staatsgeschenke, die ein wichtiger Bestandteil diplomatischer Beziehungen zwischen den europäischen Höfen bildeten, umfassten in der Regel kunsthandwerkliche Gegenstände. Gemälde wurden erst viel später Teil dieser Praxis. Die Kunstgeschichte kennt diese Fakten. Nichtsdestotrotz komme es, so Welzel, zu einer „Handlung wider besseren Wissens innerhalb des Fachs.“
Dieser geforderte neue Fokus auf Objektkunst verlangt gleichzeitigt nach einer Anpassung des kunsthistorischen Handwerkszeugs. So müssen fotografische Reproduktionen auf objektorientierte Fragestellungen ausgerichtet sein und beispielsweise materialspezifische Besonderheiten in den Blick nehmen. Sehgewohnheiten müssen verändert, bzw. bereits in der kunsthistorischen Ausbildung anders geschult werden. Im Zusammenspiel mit einem erweiterten Verständnis für kunsthandwerkliche Praktiken soll dies zu einer gesteigerten Wertschätzung von Angewandter Kunst führen und der vorherrschende Anachronismus in der Hierarchisierung der Kunstgattungen könnte dadurch endlich revidiert werden.