Die ersten Konzentrationslager, in denen militärische und politische Gegner konzentriert und massenhaft gefangen gehalten wurden, entstanden im Zuge des Zweiten Burenkriegs (1899-1902). Die britische Kolonialarmee richtete sogenannte concentration camps für inhaftierte Buren und später auch für die afrikanische Bevölkerung ein. Ähnlich verfuhren die deutschen Kolonialherren im Verlauf des Herero- und Nama-Austands von 1904. Tausende Gefangene wurden in eigens dafür eingerichteten Lagern zusammengepfercht. Aber waren Gefangenenlager im Zusammenhang mit kriegerischen Konflikten tatsächlich etwas Neues? Der Historiker Dr. Jonas Kreienbaum von der Universität Rostock hat die Konzentrationslager im südlichen Afrika erforscht und miteinander verglichen. Seine Ergebnisse hat er im Rahmen seines Dissertationprojekts veröffentlicht. Wir haben ihm zu seinem Buch, das mit dem Preis für Übersetzungsförderung 2017 des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden ist, unsere Fragen gestellt.
"Die Praktiken kolonialer Gewalt ähnelten sich oft"
L.I.S.A.: Herr Dr. Kreienbaum, Sie haben zu den kolonialen Konzentrationslagern im südlichen Afrika geforscht und dazu ein Buch mit dem Titel „Ein trauriges Fiasko“ veröffentlicht. Das Buch wurde jüngst mit einer Übersetzungsförderung durch das Programm "Geisteswissenschaften International" ausgezeichnet. Bevor wir auf das Buch genauer eingehen, was hat Sie zu Ihrem Thema geführt? Welche Ausgangsfrage liegt Ihrer Arbeit zugrunde?
Dr. Kreienbaum: Ausgangspunkt meiner Beschäftigung mit kolonialen Konzentrationslagern war die Debatte um mögliche Kontinuitäten zwischen Kolonialismus und Nationalsozialismus, die sich bis zu Hannah Arendt zurückverfolgen lässt und etwa seit der Jahrtausendwende vor allem durch den Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer erneut angestoßen wurde. Dabei entsteht mitunter der Eindruck, es lasse sich ein deutscher Sonderweg genozidaler Gewalt vom Vernichtungskrieg gegen die Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika (1904-1908) bis zum Holocaust identifizieren. Die Lager, die in beiden Kontexten existierten und zeitgenössisch jeweils als „Konzentrationslager“ bezeichnet wurden, scheinen diese Interpretation suggestiv zu bestätigen.
An einem tieferen Verständnis sowohl der kolonialen als auch der aufgerufenen NS-Lager mangelt es dabei aber vielfach. Vor allem wird meist übersehen, dass die Kolonialimperien um die Jahrhundertwende stark miteinander vernetzt waren und sich die Praktiken kolonialer Gewalt oft ähnelten. Das gilt insbesondere für den Einsatz kolonialer Konzentrationspraktiken, die um das Jahr 1900 auch von Spaniern, Briten und US-Amerikanern zur Beendigung kolonialer Kriege eingesetzt wurden. Dementsprechend untersuche ich neben den deutschen Konzentrationslagern in Südwestafrika auch die concentration camps, die die Briten während des Krieges gegen die Buren (1899-1902) im benachbarten Südafrika errichteten. Allgemein frage ich nach den Charakteristika dieser beiden Lagersysteme: Warum, also mit welchen Motiven, errichteten die beiden Kolonialmächte Lager? Wie funktionierten diese im Alltag und warum kam es in ihnen zum Massensterben? Inwiefern glichen und unterschieden sich die Lager in Süd- und Südwestafrika und „kopierten“ die Deutschen eventuell das britische Vorbild? Und schließlich: Wo liegen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den späteren NS-Konzentrationslagern?
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Kommentar
Obwohl er die "koloniale Wertschöpfung" durch todbringende Zwangsarbeit erwähnt, überhöht er die vermeintlich "ursprüngliche Intention" kolonialer Konzentrationslager zur "Beendigung kolonialer Kriege" in einer Art und Weise, dass der selbst dabei schon immanente 'Vernichtungsgedanke' mit einer quasi pseudopazifistischen Legitimation bemäntelt wird. Den Höhepunkt der Bigotterie stellt jedoch seine Verniedlichung dieser primären Vernichtungspraxis mit 'Mehrwertshintergrund' zum infrastrukturellen 'Lapsus' durch "Unterversorgung" dar, mit dem er einen „modernen, genozidalen Plan europäischer Kolonialbürokraten" mal eben ausschließt. Genozide als einfach nur 'unüberlegter technokratischer Pannenmodus'?
Derartige eurozentrische Rationalisierungen der eigenen Kolonialgeschichte verniedlichen die Verbrechen der Völkermörder und Sklaventreiber zu quasi 'nicht perfekt genug geplanten' Unternehmungen nach dem Motto: "Denn sie wussten nicht, was sie taten". Diese Perspektive erwähnt die Opfer dieser planmäßigen und kontinuierlich weiterentwickelten Vernichtungslogik wenn überhaupt, nur am Rande und als Subjekte vermeintlich 'objektivierter Not-wendig-keit'.
Dass es beim Abtransport der kriegerisch geraubten Kolonialgüter ganz offenbar deutlich weniger infrastrukturelle "Unterversorgung" gab und schon die Errichtung dieser Infrastrukturen selbst wieder unzählige Todesopfer unter den Kolonisierten forderte? Kein Ding! Das zählt offenbar genauso wenig zum "tieferen Verständnis sowohl der kolonialen als auch der aufgerufenen NS-Lager", wie die hier vorgeschobenen "Intentionen", die die Kontinuität der Vernichtung-durch-Arbeit-Mentalität in allen diesen Konzentrationslagern 'außen vor' lässt...
Die menschenverachtenden, technokratischen Kontinuitäten kolonialer, faschististischer und imperialistischer Genozide - insbesondere bei den deutschen Völkermordexperten - sind also im "tieferen Verständnis" nurmehr ein "interimperialer Lernprozess (mit) Entstehung eines gemeinsamen imperialen Wissensspeichers"?! Nix Besonderes! Gängige Praxis!
Da wundert es dann ja wohl auch nicht mehr wirklich, dass die heutigen Anker-Zentren zur 'Beendigung von Migration' auch wieder Massenlager sein sollen. Da soll bzw. darf zwar keiner mehr arbeiten - aber der Beendigungsgedanke des "imperialen Wissensspeichers" (inklusive kolateraler Suizid- oder Gewaltopfer) hat halt ein offensichtlich "tieferes" Gewicht, als 'oberflächliche' Menschenwürde - oder?