Familie Bockenheimer
(...) Das Haupt der älteren Linie, Herr Geheimer Sanitätsrat Dr. Jacob Hermann Bockenheimer, ist vor kurzem aus unserer Mitte geschieden und ihm einige Worte des Gedenkens zu widmen erscheint als eine Pflicht der Schriftleitung.
Jacob Hermann Bockenheimer wurde am 25. Dezember 1837 - am heil. Christfest - zu Frankfurt a. M. geboren. Sein Vater war der Frankfurter Bürger und Lehrer an der Domschule, Philipp Bockenheimer. Nach glücklich verlebter Jugendzeit bezog B. die Universität Göttingen, wo er bei dem Corps Hannovera aktiv wurde, besuchte dann die Universitäten zu Prag, Wien, Paris und studierte längere Zeit zu Würzburg. Im Jahre 1861 bestand er in Würzburg das Doktorexamen und 1863 in Frankfurt a. M. die Staatsprüfung, um sich dann in seiner Vaterstadt als Arzt niederzulassen.
Am 4. November 1866 gründete er die "Dr. Bockenheimer's Chirurgische Klinik"; anfänglich mit 4 Betten, vergrösserte sich das Institut von Jahr zu Jahr und wurde 1870 in einem eigenen Hause in der Mühlbruchstrasse (mit 25 Betten) untergebracht. Die Poliklinik stand jedermann unentgeltlich frei, zahlreiche Studenten und Aerzte bildeten sich in der Klinik aus.
Ende September des laufenden Jahres noch kurz vor dem Ableben ihres Begründers wurde die Klinik geschlossen, weil es für die Familie unmöglich war, die Anstalt in der bisherigen Weise fortzuführen und der Begründer selbst in Folge schwerer Erkrankung zur Leitung nicht mehr im Stande war. Noch im Herbste des vergangenen Jahres widmete sich Geheimrat Bockenheimer in Frische und Gesundheit seinem Berufe und konnte im Kreise seiner Angehörigen, der Assistenten und Schwestern seiner Klinik seinen 70sten Geburtstag feiern. Obgleich er sich in seiner schlichten Art alle Feierlichkeiten und Ehrungen verbeten hatte, fanden sich dennoch zahlreiche Freunde und Gratulanten in der Klinik ein. Prof. Dr. Sippel feierte in herzlichen Worten die grossen Verdienste des Jubilars; der erste Assistent Dr. Bredow überreichte ein künstlerisch ausgeführtes Album, in dem die verschiedenen Phasen des Lebens und Wirkens des Gefeierten dargestellt sind. Fast alle ehemaligen Assistenten hatten sich um ihren Meister versammelt, eine Denkschrift brachte die Chronik der Klinik und statistische Zusammenstellungen der in derselben während ihres vierzigjährigen Bestehens behandelten Krankheitsfälle.
Seine vielen Erfolge verdankte Dr. B. zum grössten Teil seiner Entschlossenheit gepaart mit wahrer Herzensgüte, die sich auch in zahlreichen Akten der Wohltätigkeit äusserte. Von vorzüglicher allgemeiner Bildung und ausgestattet mit einem bewunderungswürdigen Gedächtnis, verfolgte B. trotz seiner angestrengten ärztlichen Tätigkeit auch auf allen anderen Gebieten menschlichen Wissens jeglichen Fortschritt. Als einer der ersten Abonnenten nahm er hohes Interesse an der Herausgabe der Frankfurter Blätter für Familiengeschichte, denen er in freundschaftlicher Weise ein Förderer gewesen ist.
Bald nach der Jubiläumsfeier suchte ihn ein tückischer Influenzaanfall heim; dazu kam ein altes Herzleiden: alle menschliche Kunst war vergebens, auch eine Reise nach dem Süden brachte nicht die erhoffte Genesung. Am 15. Oktober erlag Dr. B. dem Tode, dem er so unzählige Opfer im Laufe seiner unermüdlichen Tätigkeit entrissen hatte, am 18. Oktober hat man ihn unter grosser Beteiligung der gesamten Bevölkerungsstände Frankfurts zu Grabe getragen.
Unvergessen aber wird seine segensreiche und selbstlose Wirksamkeit zum Wohle der leidenden Menschheit bleiben, unvergessen wird er weiter leben in den Herzen seiner zahlreichen Verehrer, denen er nicht nur beruflicher ärztlicher Beistand in Krankheitsfällen war, sondern bei denen er als wahrer Freund und edler Mensch die Krankenstube betrat, schon durch den Zauber seiner Persönlichkeit Hoffnung und Zuversicht erweckend!
Requiescat in pace!
Separatabdruck aus "Frankfurter Blätter für Familiengeschichte", Jahrg. 1. 1908, Heft 11.
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