Die Geschichte des Rheinlands ist auch eine Geschichte des Bedeutungswandels seiner Städte entlang des Rheins - von Nord nach Süd gelesen insbesondere der Städte Düsseldorf, Köln und Bonn. Alle drei Städte haben seit der Verlagerung des Schwerpunkts der Bundesrepublik von Bonn nach Berlin Einbußen an Einfluss hinnehmen müssen und versuchen sich seither neu zu erfinden und mit besonderen Alleinstellungsmerkmalen zu schmücken. Abgesehen davon, dass Düsseldorf Sitz der NRW-Landesregierung ist, hat sich die Stadt an Düssel und Rhein einen Namen als internationaler Standort gemacht. Dieses Image zu unterstreichen, darum bemühen sich die Autoren und Autorinnen in einem neuen Band über Düsseldorf. Als Düsseldorfer Stiftung, die auch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus Köln beschäftigt, haben wir den Herausgeber des Bandes, den Mediävisten Prof. Dr. Helmut Brall-Tuchel, um ein Interview gebeten.
"Gastfreundschaft, Offenheit und Internationalität machen Düsseldorfer Stadtkultur aus"
L.I.S.A.: Herr Professor Brall-Tuchel, Sie haben jüngst einen Band zur Stadt Düsseldorf herausgegeben, der den Titel trägt: "Mit anderen Augen. Düsseldorf aus Sicht der Welt". Darin versammeln sich vor allem persönliche Beiträge aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen: aus der Diplomatie, aus der Wirtschaft, aus der Wissenschaft, aus den Medien usw. Was hat Sie als in der Stadt Kerpen gebürtig, die in viel unmittelbarerer Nachbarschaft zu Köln denn zu Düsseldorf liegt, bewogen, ein Städtelob auf Düsseldorf herauszugeben? Was verbinden Sie mit, was mögen Sie an Düsseldorf?
Prof. Brall-Tuchel: Ich halte es für wichtig, Wert und Eigenart urbaner Zivilisation verstärkt zu thematisieren. Im Zeitalter globaler Vernetzung und virtuellen Austausches, sicher noch beschleunigt durch den aktuellen Umgang mit der Pandemie, drängte sich mir – auch bedingt durch meine berufliche Laufbahn als Mediävist – die Herausforderung auf, an die häufig 800 Jahrhunderte und länger andauernde Tradition mitteleuropäischer Stadtwahrnehmung anzuknüpfen, die in den „laudes urbium“, dem Städtelob, ihren literarischen Niederschlag gefunden hat. Was wir an unseren Städten schätzen, wie sie „in der Welt“ dastehen, wie es um ihre Ausstrahlung und ihre Sichtbarkeit bestellt ist, das wollten wir uns vor Augen führen. Viele Städte und ihre Bewohner fürchten sich heute vor „Seelenlosigkeit“, womit der allmähliche, aber stetige Zerfall von kulturellen Knotenpunkten und wirtschaftlichen und sozialen Epizentren in den Städten gemeint ist, ebenso vor der sogenannten Gentrifizierung oder der Eigendynamik von Parallelgesellschaften in Vorstädten oder Stadtbezirken. An einem Städtelob auf Düsseldorf mitzuwirken lag für mich deshalb nahe, weil nicht meine Herkunft aus der kleinen Stadt Kerpen mit ihren mittelalterlichen Wurzeln und nur 19 Kilometer entfernt von Köln den Ausschlag gegeben hat, sondern mein gesamtes Berufs- und Sozialleben, das mit Ausnahme von einem knappen halben Dutzend Jahre in Düsseldorf stattgefunden hat.
Im Vergleich mit Düsseldorf hat Köln sowohl im Stadtmarketing als auch im Städtelob die weitaus besseren Karten. Dieser Vorsprung ist wohl kaum einzuholen. Doch als Kern vieler Beiträge schälte sich heraus, dass nicht Lokalpatriotisches oder Rheinisches, sondern eine beständige Gastfreundschaft, Offenheit und Internationalität den Geist der Düsseldorfer Stadtkultur ausmacht. Das ist es im Übrigen, was ich mit Düsseldorf verbinde und an dieser Stadt besonders schätze.