Ob urban gardening oder Magazine wie Landlust - die Ländlichkeit hat in unserer heutigen Zeit Konjunktur. Doch wie steht dies mit der zu beobachtenden Landflucht und dem oftmals angestrebten urbanen Leben in Verbindung? Widersprechen sich Landflucht und Landlust nicht grundlegend? Und welche Bedeutung hat das Ländliche für unsere Gesellschaft - wie wird sich dies in Zukunft entwickeln? Christoph Baumann studierte u.a. Geographie, Germanistik, Philosophie und Medienwissenschaft. In seiner Dissertation hat er sich mit dem Phänomen der Landlust beschäftigt und unsere Fragen in einem Interview beantwortet.
"Die Beobachtung einer gegenwärtigen Konjunktur von Ländlichkeit"
L.I.S.A.: Lieber Herr Dr. Baumann, Ihre Dissertation bzw. aktuelle Publikation trägt den Titel „Idyllische Ländlichkeit“. Was dürfen LeserInnen erwarten: Was ist mit dem Begriff „Idyllisierung“ gemeint und worum geht es dabei?
Dr. Baumann: In der Publikation geht es um die Lust am Ländlichen. Der Ausgangspunkt der Studie liegt in der Beobachtung einer gegenwärtigen Konjunktur von Ländlichkeit, wie sie sich etwa in dem enormen Erfolg von Magazinen wie Landlust mit einer Leserschaft von knapp fünf Millionen Menschen, aber auch in Phänomenen wie dem urban gardening ausdrückt.
Bei der Analyse setze ich zwei Schwerpunkte. Zum einen zeige ich aus einer sozial-/ kulturhistorischen Perspektive Entwicklungslinien der Lust am Ländlichen auf. Ausgehend vom antiken Lob des Landlebens und dessen buchstäblicher Renaissance im 16. Jahrhundert konzentriere ich mich dabei insbesondere auf die Zeit ab etwa 1750, in der sich eine positive Bezugnahme auf das Ländliche zunehmend in die Gesellschaft einschreibt. Zum anderen liefere ich eine Analyse der gegenwärtigen Lust am Ländlichen, indem ich mich detailliert mit der Zeitschrift Landlust und deren Leserschaft auseinandersetze. Diese Auseinandersetzung mündet in eine gesellschaftsdiagnostische Interpretation der aktuellen Landeuphorie.
Der Begriff der Idylle ist bislang vor allem ein Terminus der Literatur- und Kunstwissenschaften, die darunter eine bestimmte Gattung bzw. ein Set an künstlerischen Motiven verstehen. Ich deute das Idyllische allerdings als eine soziale Kategorie. Idyllisierungen sind für mich soziale Praktiken, durch die sich Menschen (zeitweise) ein idyllisches Weltverhältnis schaffen.