Zu Beginn bestand für mich als Dokumentarfotografin eigentlich nur der Wunsch, eine gelungene Wohnform aus den 60er-Jahren in Frankfurt am Main zu dokumentieren. Doch bei den Gesprächen mit den Bewohnern stellte sich heraus: diese besondere Architekturform barg auch ein Stück Frankfurter Kulturgeschichte!
Die Frankfurter Künstlerkolonie "In Frankfurt/Main Wohnen" (1967)
Mitte der 1960er-Jahre entstanden in Frankfurt zehn Atelierhäuser, die ein Stück Frankfurter Geschichte erzählen
Frankfurt am Main zu Beginn der 50er-Jahre. In der zu großen Teilen vom Krieg zerstörten Stadt herrschte Wohnraummangel. Auch die Künstler in der Stadt waren von der Situation betroffen. Die Frankfurter Bildhauerin Cläre Bechtel (1905-1973), Absolventin der Frankfurter Städelschule, fand in ihrem Umfeld interessierte Kolleginnen und Kollegen, die mit ihr 1959 einen Verein gründeten, um sich für gefördertes Wohneigentum mit Arbeitsateliers bei der Stadt einzusetzen. Nach dem Vorbild anderer Städte, wie Darmstadt, Stuttgart oder München, sollte eine Künstlerkolonie entstehen. Die Finanzierung – zum Teil mit Hilfe von städtischen Darlehen und Förderungsmöglichkeiten des Landes – wollten die Künstler hauptsächlich selbst leisten.
1964 war es nach langem Hin und Her tatsächlich soweit. Die Stadt entschied sich für ein Gelände in Frankfurt Praunheim, das sie in Erbpacht zur Verfügung stellte. Dem damaligen Planungsdezernenten Hans Kampffmeyer gefiel die Idee, an einem der Zugänge des zukünftigen Bundesgartenschaugeländes die Häuser als Beispiel für gelungenes modernes Bauen vorzusehen. Frankfurt war 1969 ausgewählt, die Bundesgartenschau auszurichten. Sie trat jedoch noch vor der Ausführung der schon geplanten Maßnahmen von ihrer Nominierung zurück. Der Grund war die immer noch schlechte finanzielle Situation der Stadt durch den Wiederaufbau. An der Künstlerkolonie hielt man aber fest. Das Anliegen, für Künstler Wohn- und Arbeitsräume zu schaffen, hatte bei den unterschiedlichen Fraktionen im Römer Gehör gefunden. Entscheidend war aber, dass der Magistrat das Projekt offiziell als dringlich einstufte.
Jedoch zeigte die Stadt Frankfurt kein Interesse, eine Künstlerkolonie – vergleichbar der 1952 entstandenen ‚Neuen Künstlerkolonie‘ in Darmstadt – als Teil ihrer Kulturförderung mit aufzubauen und repräsentativ zu nutzen. Kulturdezernent Karl vom Rath war skeptisch gegenüber dem Projekt und verhielt sich extrem zurückhaltend. Er hielt eine Finanzierung durch die Künstler für unrealistisch, die finanzielle Belastung für zu groß. Er sah – sicher auch aufgrund seiner knappen Mittel – hier nicht eine Aufgabe des Dezernats. In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau 1964 sagte er: „Gemeinden sollen nur Kulturaufgaben übernehmen, die sie finanziell und sachlich lösen können.“
So entstanden letztlich private Atelierhäuser in Erbpacht, mit den damals möglichen öffentlichen Darlehen, im Rahmen der Regeln des sozialen Wohnungsbaus. Der Frankfurter Architekt Franz-Josef Mühlenhoff zeigte sich mit den Reihenhofhäusern der Künstlerkolonie ganz in der Tradition der Ideen des sozialen Wohnungsbaus Ernst Mays und Ferdinand Kramers. Ein gelungenes Beispiel der Architektur der Nachkriegsmoderne, mit dem Charme eines besonderen Haustyps. Angestoßen durch die Initiative des Vereins realisierte die Stadt Frankfurt zusätzlich in weiteren Neubaugebieten der 70er-Jahre – zum Beispiel der Nordweststadt – noch weiteren Wohnraum für Künstler.
Die hierzu entstandene Publikation besteht zum einem aus dokumentarischen Fotos begleitet von einem Essay. Dieser führt den Leser durch die Architektur, so dass eine Begegnung mit dem Ort, seiner Entstehungszeit, der Atmosphäre und den Menschen möglich wird. Beigegeben sind ihm Texte, die über den Hintergrund der Gebäude informieren, über das historische öffentliche Engagement für Wohn- und Arbeitsräume von Künstlern, über die Architektur und ihre besondere Form. Den Abschluss bildet eine Recherche zur Bildhauerin Cläre Bechtel, deren Engagement die Häuser zu verdanken sind.
Der Band ist der erste Teil einer Dokumentationsreihe zum Wohnen in Frankfurt am Main, deren redaktionelles Konzept darauf basiert, durch das Betrachten einzelner individueller historischer Beispiele – dargestellt auf zwei Erzählebenen – einen Blick zu bekommen auf eine individuelle oder auch gesellschaftliche Idee, die den gezeigten Orten zugrunde liegt und das sie umgebende Zeitgeschehen. In der Reihe ergibt sich dann ein vielschichtiges Ganzes über das Leben in der Stadt Frankfurt am Main.
Zur Autorin und Fotografin:
Astrid Kumpfe, geboren in Frankfurt am Main; Grundstudium Architektur an der Fachhochschule in Frankfurt, Diplom im Fachbereich Kommunikationsdesign an der Fachhochschule Wiesbaden (heute Hochschule Rhein Main, University of Applied Sciences); sieben Jahre angestellt bei unterschiedlichen Designstudios und Agenturen in den Bereichen Corporate Design und Editorialdesign; seit 2007 Freie Kommunikationsdesignerin und Dokumentarfotografin. 2010 bis 2012 StadtteilHistorikerin (Stadtteil Praunheim) der Stiftung Polytechnische Gesellschaft, mit dem Projekt „Frankfurter Künstlerkolonie“.
IN FRANKFURT/MAIN WOHNEN 1967
Frankfurter Künstlerkolonie e. V. (1959)
Gemarkung Praunheim, Flur 10 Nr. 58 u. 76, An den Pflanzländern 2-22
Henrich Editionen Frankfurt am Main, ISBN-Nr. 978-3-921606-96-4
Es besteht die Möglichkeit den Band direkt zu bestellen bei
astridkumpfe@akd-ffm.de