Im Zuge der Debatte um den Konflikt zwischen der gegenwärtigen ungarischen Regierung und der Central European University, kurz: CEU, in Budapest gab es im Westen viel Kritik an der Politik von Ministerpräsident Viktor Orbán. Dem allgemeinen Tenor in Politik, Wissenschaft und Medien zufolge ist das neue Gesetz ein direkter Angriff auf die Freiheit der Wissenschaft. Wir haben zuletzt in einer kleinen Reihe einige betroffene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in unserem Portal aus Ihrer Sicht den Konflikt und die Institution CEU schildern lassen. Was bisher noch fehlt, das zeigt auch die Auflistung von Presseartikeln zur Causa CEU im L.I.S.A.Beitrag vom Sonntag, ist eine gegenläufige Perspektive. Der Historiker und Publizist Hannes Hofbauer gehört zu den wenigen Stimmen im Westen, die einen anderen Blick auf die Debatte um die CEU haben. Wir haben ihm unsere Fragen gestellt.
"Nationale Souveränität in gewissen Sektoren zurückgewinnen"
L.I.S.A.: Herr Hofbauer, Sie verfolgen als Historiker und Publizist die Ereignisse rund um die Central European University (CEU) in Budapest, deren Tätigkeit nach den neuen Bestimmungen der ungarischen Regierung eingeschränkt wird. Wie stellt sich der Konflikt zwischen der CEU und der Regierung Ungarns aus Ihrer Sicht dar? Was genau fordert die Regierung Ungarns mit Blick auf die CEU? Welches Ziel verfolgt sie damit? Geht es ihrer Ansicht nach sogar darum, dass die CEU ihre Pforten in Budapest schließen soll?
Hofbauer: Historisch gesehen, geht der Kampf zwischen der Fidesz-Regierung und dem ungarisch-stämmigen US-Spekulanten George Soros auf eine seit über 150 Jahren bestehende Spaltung der ungarischen Gesellschaft in Ungartümler und Kosmopoliten zurück. Diese konnte im Kommunismus nur mühsam übertüncht werden und hat sich nach der Wende 1989 sofort wieder in der Parteienlandschaft widergespiegelt. Interessant dabei ist, dass Fidesz und auch ihr Führer Viktor Orbán ursprünglich als junge Liberale auftraten. Deren "Nationalisierung" fand erst in den späten 1990er-Jahren statt.
Um die Fidesz-Politik gegenüber der CEU zu verstehen, muss man sich die Erfahrungen der ungarischen Gesellschaft in den vergangenen fast dreißig Jahren in Erinnerung rufen. Wie in kaum einem anderen Land des ehemaligen Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe fand in Ungarn ein vollständiger Eigentümerwechsel statt, bei dem die Profiteure in höchstem Maße aus dem Ausland kamen: Banken, Industriebetriebe, der neue Dienstleistungssektor. Alle wichtigen Unternehmen werden von ausländischem Kapital kontrolliert. Das empfinden viele Menschen als Demütigung.
Teile der ehemaligen Kommunisten waren erfolgreich darin, ihre Söhne und Töchter als Verwalter dieses Fremdkapitals zu Geld und Ehren kommen zu lassen. Im Ungarischen gibt es für diesen idealtypischen Wechsel vom KP-Funktionär zum Kapitalverweser oder Kapitaleigner sogar einen eigenen Ausdruck; diese Leute werden "Fallschirmspringer" genannt. Zusammen mit den großen Kapitalgruppen aus dem Ausland dominieren sie heute die ungarische Wirtschaft. Ihr vorläufig letzter Repräsentant im Amt des Ministerpräsidenten war Ferenc Gyurcsány, der als Multimillionär den KP-Nachfolger "Sozialistische Partei" führte und sich darüber lustig machte, wie seine Partei jahrelang die Menschen systematisch belogen hatte. Dergestalt haben sich die Kosmopoliten oder Liberalen, die heute auf die Globalisierung setzen, präsentiert, bis ihr Treiben der Mehrheit zu bunt wurde. 2010 hat Fidesz dann die Parlamentswahlen mit 52,7 Prozent der Stimmen gewonnen.
Das sind die Hintergründe eines Kampfes, den Orbán schon seit Jahren mit dem Ziel führt, nationale Souveränität in gewissen Sektoren zurückzugewinnen. Dafür versucht er als Rechter eine linke Wirtschaftspolitik zu machen; quasi als Spiegelbild zur Opposition, die auf Basis einer neoliberalen Ökonomie eine linke Kulturpolitik einfordert. Orbán ist es beispielsweise gelungen, den Staat wieder als größten Aktionär des wichtigsten Energiekonzerns des Landes, MOL, zu positionieren. Mit einer eigenen Bankenabgabe zwang er die durchwegs ausländischen Finanzunternehmen, etwas fairere Beiträge für das nationale Budget zu leisten. Auch im Versicherungssektor drängte er ausländische Interessen – ein wenig – zurück. Und nun eben der Versuch, den Einfluss einer ohne Staatskontrolle werkenden Universität zu beschränken. Das passt ins Bild. An eine Schließung der CEU ist nach Aussagen Orbáns übrigens nicht gedacht.