Vor 130 Jahren haben Vertreter der europäischen Mächte in Berlin ihre eroberten Gebiete und Einflusssphären auf dem afrikanischen Kontinent neu untereinander abgestimmt, und die bereits lange zuvor eingesetzte Aufteilung bzw. Kolonialisierung Afrikas einen entscheidenden Schritt weiter getrieben. Mehrere der in Berlin 1884 und 1885 willkürlich festgelegten Grenzen, die oft einfach nur mit dem Lineal gezogen wurden, haben bis heute bestand und bilden nicht selten die Ursache für aktuelle Konflikte zwischen afrikanischen Staaten und ihren Ethnien. Um an die Langzeitfolgen der Kongokonferenz zu erinnern, fand in Berlin eine Serie von verschiedenen Veranstaltungen unter dem Titel Wir sind alle Berliner 1884-2014 statt. Wir haben Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, Anna Jäger, Saskia Köbschall und Elena Agudio vom Verein SAVVY Contemporary, dem Kuratorenteam der Reihe, unsere Fragen zum Gedenken an die Afrikakonferenz gestellt.
"Wenn wir alle Berliner sind, wer ist dann eigentlich diese/r Andere?"
L.I.S.A.: In Berlin fand im Februar zum Gedenken an die Berliner Kongokonferenz von 1884, bei der vor 130 Jahren der afrikanische Kontinent unter den europäischen Kolonialmächten aufgeteilt wurde, eine mehrtägige Veranstaltungsreihe mit dem Titel „Wir sind alle Berliner: 1884-2014“ statt. Können Sie uns den Titel erklären? Was meint „Wir sind alle Berliner“?
SAVVY Contemporary: Den Titel haben wir Simon Njami zu verdanken. Er kuratierte die gleichnamige Ausstellung, die im Zeitrahmen der historischen Berliner Konferenz von November bis Februar bei SAVVY Contemporary zu sehen war. Zum Abschluss der Ausstellung haben wir ein Diskursprogramm organisiert, um das Thema aus weiteren künstlerischen und wissenschaftlichen Positionen zu untersuchen. Allen Überlegungen lag dabei die Vorstellung einer geteilten Verantwortung an Geschichte, Gegenwart und Zukunft zu Grunde, die weit über rein symbolische Solidaritätsbekundungen hinausgeht.
„Wir Sind Alle Berliner: 1884-2014“ ist ein Statement, welches in wenigen Worten eine direkte Verbindung zwischen der Berliner Kongokonferenz im Jahre 1884 und unserer Gegenwart, und zwischen Kolonialisierten und Kolonisierenden herstellt. Es spielt darauf an, dass wir alle, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht, in einer Gesellschaft leben, die vom Kolonialismus zutiefst geprägt ist. Die Verbindungen, welche der Titel auf temporaler und geographischer Ebene skizziert, sind der Ausgangspunkt für den Dialog über die Folgen der Kolonialgeschichte für das Hier und Jetzt, der sowohl mit der Ausstellung als auch mit dem Diskursprogramm angeregt werden sollte. Es ist wichtig, diesen Teil der Geschichte, der auch maßgeblich die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Gefüge der Kolonisierenden geprägt hat, zu hinterfragen und zu verstehen, um den Nachwirkungen des Kolonialismus entgegenzuwirken. Der Titel ist ein klarer Aufruf zur Sichtbarmachung des und der damals Abwesenden, die heute selbstverständlich - als Berliner- ihren Platz am Verhandlungstisch einnehmen.
Natürlich kommt hier noch ein weiterer Aspekt hinzu, über den wir gerne nachdenken: Wenn wir alle Berliner sind, wer ist dann eigentlich diese/r Andere?