Religiöse Darstellungen sind ein emotionales Thema. Besonders dann, wenn diese in den Augen manch eines Betrachters die Grenze zu Gotteslästerung überschreiten. Welche verheerende Brisanz blasphemische Bilder entfalten können, zeigten nicht zuletzt der Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo" und die Ermodung des französischen Lehrers Samuel Paty. Doch so traurig diese Zustände sind, neu sind sie nicht. Die Vorgeschichte dieser Konflikte reicht in Frankreich, dem Mutterland des Laizismus, viele Jahrzehnte zurück. Dada und Surrealismus wagten ab den 1920er Jahren den Aufstand gegen Religion und Kirche mit den Mitteln der Kunst. Mit Gemälden, literarischen Werken und Aktionen forderten sie die konservative Kunstwelt und das christliche Publikum heraus. Darüber sprachen wir mit der Kunsthistorikerin Dr. Nana Kintz.
"Dada und Surrealismus boten einen unfassbar großen Fundus"
L.I.S.A.: Frau Dr. Kintz, in Ihrer kürzlich veröffentlichten Dissertation haben Sie sich mit der Rolle von Religion und Kirche als künstlerischem Motor von Dada und Surrealismus auseinandergesetzt. Sie trägt den griffigen Titel „Flecken, Fäkalien, Fetische“. Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen, was interessiert Sie daran besonders und welche Vorüberlegungen gingen Ihrem Dissertationsprojekt voraus?
Dr. Nana Kintz: Mich hatten schon länger widerständige künstlerische Praktiken interessiert und ich wollte mich der Blasphemie in der Kunst widmen. Dada und Surrealismus boten einen unfassbar großen Fundus an virulenten Beispielen und schnell stellte sich heraus, dass das Thema mehr umfasst, als nur Blasphemie. Das Erforschen einer radikalen künstlerischen Bewegung (Dada und Surrealismus in ihrer Kontinuität begriffen), die ein Netzwerk um die Welt spannte und kollaborativ in verschiedensten Medien arbeitete, forderte mich heraus. Da Dada und Surrealismus mehrere Zentren und Ausläufer hatten, musste ich das Forschungsfeld eingrenzen und habe mich auf die Pariser Gruppe um André Breton konzentriert, da dort das Epizentrum des Themas lag. Auch war die Entscheidung wichtig, nicht nur Bildkunst zu untersuchen, sondern auch die literarischen Werke und Aktionen intermedial zu berücksichtigen.