Der „Fliegende Holländer“ als Präsident des Rocker-Chapters The Flying Dutchman, mit Harley Davidsons, Kutten und allem was sonst noch dazu gehört? Ikonoklastisch, blasphemisch, ignorant? Das Verblüffende ist: es funktioniert, irgendwie jedenfalls. Es funktioniert weil die „grausenerregende Geister- und Zauberoper“ (Karl August von Lichtenstein, 1841) schon in Wagners Fassung, die er zunächst „Romantische Oper“ nannte, sadistische, zugleich aber auch parodistische Züge enthält. Wagner hatte sich in seinem Libretto-Entwurf an Heines Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski (Kap. VII) orientiert.
"Der fliegende Holländer" als Rockerballade
Wagners „Der fliegende Holländer“ in der Oper Frankfurt
Vater Daland (gesungen von Andreas Bauer) verscherbelt, gegen Bares, seine Tochter Senta an den Holländer. Der Handel ist sofort perfekt, allenfalls befürchtet Daland, der Ahashverus der Meere könnte es sich noch anders überlegen, Senta selbst wird nicht gefragt: eine Zwangsehe unter patriarchalischen Vorzeichen. Und der Holländer (mit hervorragendem sonoren dramatischen Bariton Wolfgang Koch) weiß genau, dass alle Frauen, die ihm Treue geloben, und diese brechen, dem Tod geweiht sind. Das waren bisher alle Frauen, die sich auf ihn eingelassen ist. Mit dem „Treuebruch“ ist der Holländer nicht zimperlich. Bei Senta (Erika Sunnegardh) genügt es, dass ihr Verlobter Erik (Daniel Behle) sie daran erinnert, dass sie ihm – angeblich - einmal Treue gelobt hat und schon ist, nach Gangstertraditon, für dem Holländer der Treuebruch Realität. In der kreativen, weitgehend schlüssigen Frankfurter Inszenierung (David Bösch) ist der Tod freilich keine mystische Angelegenheit wie bei Wagner, sondern mögliche Folge der Pistole, die der Holländer auf Senta richtet beziehungsweise des Benzins, das die Rocker kannisterweise ausgeschüttet haben. Die brennende Zigarette des Holländers macht deutlich, was passieren könnte. Statt sich zusammen mit dem Holländer ins Meer zu stürzen, setzt sich Senta sich am Ende mit pyrotechnischem Knalleffekt selbst in Brand. Soweit die Rocker-Ballade – ein von Scorcese inszeniertes Mafia-Melodram hätte ähnlich gut funktioniert.
Es funktioniert noch aus einem anderen Grund. Nimmt man – als Antipode – etwa die Züricher Aufführung (2013), in der die ganze Handlung in einem wohltemperierten Bureau des 19. Jahrhunderts stattfindet (die Schweizer haben bekanntlich kein Meer), so erkennt man, dass Wagners Gespenstergeschichte nur in dem entsprechenden environment stimmig sein kann: das Meer, ein Schiff mit unheimlichen Matrosen, eine gigantische Schiffsschraube, projiziert auf den Bühnenhintergrund (ein großartiges Bühnenbild von Patrick Bannwart). In einem Schweizer Großraumbüro wirkt der Holländer lächerlich, als Angeber, der seinen gestohlenen Schmuck auf Dalands gepflegten Tisch wirft - möglicherweise eine Züricher Gepflogenheit. In der Frankfurter Räuberpistole ist er ein knallharter Rockerboss (sein Geld, das er reichlich um sich wirft, hat er vermutlich mit Rauschgeld und Erpressung verdient), der keine großen Umstände macht. Sentas Vater überreicht er Säcke mit Geld, der Tochter – damit bei ihr keine Zweifel aufkommen, um wen es sich handelt - hält er die Pistole an den Kopf.
Wo bleibt die Psychologie, die Heils- und Erlösungserwartung, die ja, Wagner zufolge, Senta und den Holländer antreibt. Beim Holländer kommt die Inszenierung an ihre Grenzen. Bei Wagner ist die Sache klar: weil er den Satan – mit einer Lappalie übrigens – provoziert hat, muss er als fliegender Holländer solange die Meere befahren, bis er eine treue Frau findet. Er sucht zwar den Tod, wartet auf das Jüngste Gericht, hofft aber – paradox- doch darauf, dass eine Frau ihn erlöst: „Ohne Hoffnung, wie ich bin, geb’ ich der Hoffnung doch mich hin“. Den Preis für seine gescheiterten Hoffnungen bezahlen, wie gesagt, jeweils die Frauen: mit ihrem Leben. Was der Holländer als Rockerboss sucht, bleibt unklar: eine Frau, die ihn von seinen kriminellen Geschäften „erlöst“, weil er sich zur Ruhe setzen will? – eine wenig zwingende Konstruktion.
Bei Senta ist die Geschichte klarer. Senta, wie sie selbst sagt, noch ein halbes Kind, hat vom Holländer gehört und verfällt in eine Art Erlösungswahn, in dem sie glaubt, den Holländer, den sie überhaupt nicht kennt, durch ihre Treue von seinem Schicksal erlösen zu können. Das lässt sich zur Not, als eine Art gesteigerter Zeugen-Jehova-Mission auf den bösen Jungen Holländer übertragen: eigenes Seelenheil, in dem ein anderer auf den rechten Weg gebracht wird. Die selbstdestruktiven Tendenzen, das Wahnhafte Sentas bleiben dabei auf der Strecke. Deutlich wird zumindest, sowohl in Wagners Fassung als auch in der Frankfurter Interpretation: die beiden zentralen Protagonisten, Senta und der Holländer sind hochnarzisstische Persönlichkeiten. Senta mit der Projektion ihrer Erlösungsphantasien auf eine Person, die sie lediglich aus Erzählungen kennt, der Holländer, der sich seine Erlösung von einer Person erhofft, die er ebenfalls nicht kennt und die von ihm schlicht funktionalisiert, gekauft wird. Um „Liebe“ jedenfalls geht es in dieser Oper nicht.
Es funktioniert schließlich auch, weil die Inszenierung dem wagnerschen Schauerstück, entsprechend dem Heineschen Text, gelegentlich parodistische Glanzlichter aufsetzt. So etwa wenn das Geld wie Schneeflocken vom Himmel fällt oder der schnöde, geldgierige Vater Daland mit seinen Geldsäcken wie verloren auf der Bühne herumsteht. Sie funktioniert weniger in der Spinnstubenszene des zweiten Aufzugs, in der die Näherinnen geradezu somnambul sinnlosen Tätigkeiten nachgehen. Auch das magisch-realistische Bühnenbild gerät hier an seine Grenzen. Es ist nicht nachvollziehbar, was gemeint ist, wenn die Spinn-/Nähstube als eine Mischung aus Schiffsdeck und sweatshop à la Bangladesh gezeigt wird.
Wagner hatte mit seiner Oper zunächst wenig Glück gehabt. Kostproben seiner „Romantischen Oper“, die er 1841an der Grand Opéra in Paris einreichte, wurden abgelehnt. Auf Fürsprache des Juden Mayerbeer wurde das Werk des Antisemiten Wager in Berlin akzeptiert, aber zunächst nicht aufgeführt. Schließlich fand die Uraufführung dann in 1843 Dresden, 1844 folgte eine Aufführung in Berlin – in beiden Städten mit mäßigen Erfolg. Der Durchbruch gelang der Oper erst zu Beginn des 20.Jahrhunderts, als wahrscheinlich meistgespielte Wagner-Oper. Gespielt wird in Frankfurt eben diese Dresdner Urfassung, die Wagner noch mehrfach überarbeitete.
Eine künstlerische Leistung der Extraklasse war musikalische Interpretation der Oper (Leitung Bertrand de Billy). Bereits in der Ouvertüre mit ihrer leitmotivischen Grundstruktur, die teils mit filigraner Transparenz (deutlich wahrnehmbar der angedeutete Tristan-Akkord), teils mit wuchtigem Fortissimo gespielt, wurde die hohe Qualität des Frankfurter Opernorchesters deutlich. Das Lied der Matrosen („Steuermann, Laß dieWacht“, Chor der Frankfurter Oper), ein Ohrwurm der Opernliteratur, hat der Berichterstatter selten mit so viel Schwung gehört. Gelegentlich dominierte das Orchester ein wenig die Sänger, was dem GesamtkunstwerkFliegender Holländer letztlich keinen Abbruch tat.