Auf den Nationalsozialismus reagierten die Deutschen überwiegend mit Zustimmung, nur wenige verweigerten sich einer bedingungslosen Gefolgschaft. Zugespitzt ist das bisher die Antwort auf Frage, wie sich deutsche Bevölkerung zur nationalsozialistische Machtübernahme verhalten hat. Der Historiker Dr. Janosch Steuwer hat nach dem Studium zahlreicher privater Tagebücher aus der Zeit von 1933 bis 1939 Zweifel an dieser Antwort bekommen. Tatsächlich reagierten die Deutschen in ihrem Denken und Verhalten differenzierter auf die Durchdingung des Staates durch die Nationalsozialisten. Im Rahmen seines Dissertationsprojekts untersuchte er die Verzahnung von politischem und privaten Leben und stieß dabei auf aufschlussreiche individuelle Aushandlungsprozesse. Die Ergebnisse seiner Arbeit sind inzwischen in dem Band "'Ein Drittes Reich, wie ich es auffasste'" erschienen. Wir haben ihm dazu unsere Fragen gestellt.
"Die historischen Akteure standen immer vor einer offenen Zukunft"
L.I.S.A.: Herr Dr. Steuwer, Sie haben ein Buch über die Zeit des Nationalsozialismus von 1933 bis 1939 geschrieben. Darin gehen Sie der Frage nach, was die Deutschen in dieser Zeitspanne über die neuen politischen Verhältnisse gedacht haben, wie sie sich gegenüber dem Nationalsozialismus selbst verortet haben. Wie kamen Sie zu dieser Arbeit? Welche Beobachtungen gingen dem Buch voraus?
Dr. Steuwer: Historikerinnen und Historiker betrachten ihre Gegenstände normalerweise rückblickend aus einer ex post Perspektive. Dies ist grundsätzlich auch sehr aufschlussreich, weil sich aus der zeitlichen Distanz historische Zusammenhänge und Entwicklungen häufig besonders deutlich zeigen. Dabei gerät aber leicht der simple Grundsatz aus dem Blick, dass die historischen Akteure immer vor einer offenen Zukunft standen. In der Rückschau etwa ist leicht zu erkennen, welche Verbindungslinien vom Beginn der NS-Diktatur zu den deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkrieges führten, den das nationalsozialistische Deutschland 1939 begann. Aber für die Zeitgenossen war 1933 nicht klar, dass dieses politische Regime nur sechs Jahre später zu einem neuen Krieg mit Millionen Toten, systematischem Massenmord und ungekannten Verwüstungen führen würde. Sie hatten andere Erwartungen, Vorstellungen und Begriffe, die ihren Blick auf die politischen Geschehnisse und ihr politisches Handeln anleiteten. Wenn man verstehen will, wie sich einfache Deutsche zum Nationalsozialismus verhielten, nachdem Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt worden war, muss man auch diese Perspektiven, Denkweisen und Handlungslogiken rekonstruieren. Darum bemüht sich das Buch.