„Der wahre Daumier ist der ganze Daumier.“ So ein Credo des vor wenigen Wochen verstorbenen Kunsthistorikers Werner Hofmann. Hofmann, mehr als 20 Jahre Direktor der Hamburger Kunsthalle, feiert in seinem vielbeachteten Essay zur Karikatur den französischen Künstler als ihren Höhepunkt. Tatsächlich ist Daumier einer breiten Öffentlichkeit vor allem als Karikaturist bekannt. Dabei tat er sich nicht nur als Grafiker sondern auch als Maler und sogar Skulpteur hervor. Nicht weniger hatte Hofmann im Sinn, wenn er von dem „ganzen Daumier“ sprach.
"Daumier ante Portas!"
Tagung der Stiftung Brandenburger Tor und des Deutschen Forums für Kunstgeschichte im Max-Liebermann-Haus, Berlin, 20.04.2012
Wikipedia, PD-old-100-1923
"Den 'ganzen Daumier' in den Blick nehmen"
Ihn, den „wahren Daumier“ also, gibt es seit einiger Zeit in einer Ausstellung im Max Liebermann-Haus, Berlin, zu sehen. Liebermann erkannte in Daumier immerhin den „größten Künstler des 19. Jahrhunderts“. Er selbst besaß mehr als 3000 seiner Blätter. Von den Nazis erst beschlagnahmt, dann verkauft, ist ihr Verbleib bis heute ungeklärt. So springt die Daumier-Gesellschaft ein als der größte Leihgeber, ermöglicht die Rückkehr seiner Kunst in das Haus am Pariser Platz, wo Grafiken, Gemälde und erstmals auch all seine Skulpturen versammelt sind.
Hierher luden die Stiftung Brandenburger Tor und das Deutsche Forum für Kunstgeschichte, Paris, Wissenschaftler aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz – in Andenken an Werner Hofmann. Daumier, so Claude Keisch, Kurator der Ausstellung, beschreibe schließlich den ersten der Bögen, die sich in seinem Lebenswerk immer wieder kreuzten wie die Grate eines Gewölbes. Und der Direktor des Forums Andreas Beyer erklärte, eine solche Veranstaltung sei im Sinne des gebürtigen Wieners und Pariser Studenten, helfe sie doch, zwangsläufige Miss- und Unverständnisse zwischen den nationalen Wissenschaften zu überwinden – was auch zu verstehen sein dürfte vor dem Hintergrund der jüngsten Unstimmigkeiten mit dem Louvre im Zuge der dortigen Schau „De l’Allemagne“.
Wie schon die Ausstellung sollte auch die Tagung dem mit Hofmann gebotenen Anspruch folgen, den „ganzen Daumier“ in den Blick zu nehmen. So präsentierte etwa Margret Stuffmann, langjährige Leiterin der Grafischen Sammlung im Frankfurter Städel Museum, in einem leidenschaftlichen Vortrag Daumiers grafisches und malerisches Werk beeinflusst durch beides: seine biographische Nähe zu dem großen Maler seiner Zeit Eugène Delacroix und seine Tätigkeit als Bildhauer. Oder Michael Zimmermann, der Daumier am Anfang der impressionistischen Bewegung verortete, die von seinen Motiv-Erfindungen profitieren sollte. Was er anhand so eindrücklicher wie unterhaltsamer Beispiele zu zeigen vermochte.
Wikipedia, CC-PD-Mark
"Seine Opfer schienen ihn verehrt zu haben"
Für den heimlichen Höhepunkt aber sorgte Thomas Metzen. Als Antiquar und Händler von Daumier-Grafiken machte er ein paar „Anmerkungen zum Markt“ und entschuldigte sich auch gleich, dass es nur „um das liebe Geld“ ginge. Von dem Daumier übrigens manches verdient aber keines besessen habe. Wo das geblieben sei, wisse man nicht, könne es wohl ahnen, doch wolle man ja keine Vermutungen anstellen. Der Literatur, die noch immer darauf besteht, Daumier sei zu Lebzeiten nicht gesammelt worden, wusste Metzen zu widersprechen. Sogar über über die Sammler konnte er Auskunft geben, sind ihm im Laufe seiner Tätigkeit Konvolute aus den unterschiedlichsten Sammlungen begegnet. Nicht nur besaß ein Zeitgenosse, den Daumier 111 mal karikiert hatte, mehr als 1500 Blätter des Künstlers. Sein Opfer schien ihn offensichtlich verehrt zu haben. Auch der Bürgerkönig Louis-Philippe verwahrte in seinen Sammlungsmappen jene Lithographien Daumiers, die er durch seine Zensoren verfolgen ließ.
Was sagt das über die Karikatur, ihre kritische Kraft und kunstpolitische Bedeutung? Werner Hofmann mahnte 1957: „Eine Zeit, in der schlechthin alles als museumswürdig gilt, hebt den künstlerischen Protest auf, indem sie ihn nicht verbietet, sondern mumifiziert.“ Er meinte freilich die eigene Zeit. Wie nun wäre er umgegangen mit Daumier in den königlichen Mappen? Dass seine Antwort nicht mehr gehört werden kann, ist ein schmerzlicher Verlust nicht nur für die Kunstwissenschaft.