Henry Ford war für seine Zeitgenossen ein lebendiger Mythos. Sein Name stand - und steht - nicht nur auf vielen Millionen Autos. „Ford“ hieß in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Programm der Zukunft, die Weltanschauung des Industriezeitalters. In Aldous Huxleys 1932 erschienenem Zukunftsroman „Schöne Neue Welt“, der eine vollkommen rationalisierte, gefühllose Gesellschaft als glückliche Horrorvision präsentiert, wurde der „allmächtige Ford“ sogar zum Gottersatz und Beginn einer neuen Zeitrechnung.
Wenn Sozialwissenschaftler und Historiker heute von „Fordismus“ sprechen, bleiben sie nüchterner. Sie meinen dann in der Regel die von Massenproduktion, hohem Wachstum und konstantem Beschäftigungsverhältnissen geprägten drei ersten Nachkriegsjahrzehnte in der westlichen Welt. Eine historische Ausnahmeepoche, die Henry Fords Idealvorstellung einer stabilen und immer produktiver werdenden Gesellschaft nahe kam. Betrachtet man aber die ideelle Vorgeschichte und das bis heute präsente Nachleben, dann kann man das gesamte 20. Jahrhundert im Rückblick als ein fordistisches bezeichnen, wie die Historiker Adelheid von Saldern und Rüdiger Hachtmann es im aktuellen Heft der Zeitschrift „Zeithistorische Forschungen“ tun.
Der Glaube an Technische Lösungen sozialer Probleme
Die mit Fords Namen verknüpfte Vision betraf nicht nur die betriebswirtschaftliche Effizienzsteigerung durch Fließbandfertigung, streng festgelegte Arbeitsabläufe und andere Maßnahmen. Ford steht für den Glauben, Interessenkonflikte und Probleme in der Gesellschaft mit sozialtechnischen Methoden lösen zu können. Die Volkswirtschaften, die Gesellschaften, die Städte und die Menschen selbst sollten analog zu den maschinellen Prozessen in den Fabriken andauernd rationalisiert und dadurch immer effizienter werden. Ford war längst nicht der alleinige Initiator dieser Bewegung, aber er gab ihr Gesicht und Namen. Der Drang zur allgemeinen Rationalisierung der Gesellschaft lag zu Beginn des Jahrhunderts gewissermaßen in der Luft. Ihr großer Beschleuniger waren die industriell geführten Weltkriege.
Wie Christoph Bernhardt und Elsa Vonau in ihrem Beitrag in den „Zeithistorischen Forschungen“ zeigen, war der Wohnungs- und Städtebau nach dem Ersten Weltkrieg ein Paradebeispiel für die Rationalisierungsbemühungen jener Zeit. In Frankreich und Deutschland entstanden nach dem Vorbild der Rüstungswirtschaft staatliche und privatwirtschaftliche Initiativen zur Vereinheitlichung und Normierung von Baumaterialien, -planung und -organisation. Die Rationalisierung des Wohnungs- und Städtebaus wurde, so Bernhardt und Vonau, als „eine Art Zauberformel zur Lösung grundlegender gesellschaftlicher Probleme“ betrachtet und erhielt daher politische Priorität.
Walter Gropius, der selbsternannte „Wohn-Ford“
Eine entscheidende Kraft für die Durchsetzung des rationalen Bauens als Leitidee waren die Architekten jener Zeit. Walter Gropius, der sich selbst als „Wohn-Ford“ bezeichnete, war Mitglied im „Normenausschuss der Deutschen Industrie“ und kündigte 1926 begeistert das „fix und fertig eingerichtete Wohnhaus vom Lager“ an. In ihrem Glauben an die Notwendigkeit des normierten Wohnungsbaus waren sich Behörden, Gewerkschaften und Unternehmen grundsätzlich einig. Auch große Unternehmen hatten ein grundlegendes Interesse an preisgünstigen Wohnungen für ihre Arbeiter. Das große fordistische Wohnprojekt in Form der damals entstandenen einheitlichen, genormten Siedlungsbauten für Arbeiter- und Angestelltenfamilien betrieben gewerkschaftliche „Bauhütten“ ebenso wie etwa der Siemens-Konzern.
Die bauwirtschaftliche Realität blieb jedoch vorerst noch hinter dem öffentlich propagierten Rationalisierungseifer zurück. Der durchschlagende Erfolg des Wohn-Fordismus kam erst im Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Die normierte Realität der deutschen Innenstädte und Wohnsiedlungen ist ein Stein gewordener Nachlass des fordistischen Zeitalters.
Das Wesen des Fordismus sei Zweckrationalität und rein instrumentelle Vernunft, resümieren Hachtmann und von Saldern. So machte das Fehlen eines höheren Ideals, das über die Steigerung der Produktivität hinausginge, die fordistischen Ideen nahezu universell attraktiv über alle kulturellen und ideologischen Gräben hinweg. Sie konnten von Unternehmen und Gewerkschaften gleichermaßen begeistert vorangetrieben und in praktisch alle politischen Systeme des 20. Jahrhunderts integriert werden - mit Ausnahme vielleicht der islamistischen. Die nationalsozialistische Industriepolitik (Hitler verehrte den Antisemiten Ford) war ebenso beeinflusst von fordistischen Konzepten wie diejenige der stalinistischen Sowjetunion. In den sozialistischen Ländern sprach man dabei allerdings nicht offen von Ford, sondern lieber von „sozialistischer Rationalisierung“.
Die Gewerkschaften sind begeistert
„Fords These vom auskömmlichen Lohn als Voraussetzung für eine funktionierende Volkswirtschaft war so bestechend, dass die sozialdemokratischen Gewerkschafter zu den eigentlichen Vorkämpfern für die Rationalisierung und Automatisierung in der deutschen Industrie wurden“, schreibt die Berliner Historikerin Christiane Eifert in ihrem Beitrag über die Wirkung von Fords Büchern in Deutschland. Deutsche Funktionäre verziehen in einem Bericht nach einer Reise nach Detroit dem Unternehmer sogar, dass er unter seinen Arbeitern keine Gewerkschafter duldete. Schließlich seien angesichts der guten Löhne und begrenzten Arbeitszeiten alle Forderungen schon erfüllt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war in der westlichen Welt der Diskurs über den Fordismus weitgehend zum Ende gekommen. Mit Fords Tod (1947) und dem zeitweiligen Niedergang seines Konzerns verlor der Name seinen Klang. Seine Prinzipien aber hatten sich durchgesetzt. In weiten Teilen der Wirtschaft und Gesellschaft waren sie immer weniger eine Zukunftsvision sondern wurden rasch Realität. Was man in Deutschland „Wirtschaftswunder“ und in Frankreich die „trentes glorieuses“ nennt, also die dreißig Jahre stabilen Aufschwungs nach dem Krieg, war die Blütezeit des Fordismus. Auch in (West-)Deutschland und Westeuropa konnte sich bald der Arbeiter als Familienvater ein kleines Auto leisten, wie es Fords Ziel gewesen war. Der VW-Käfer war für die deutsche Nachkriegsgesellschaft, was das Modell T für die Amerikaner der 20er Jahre war: Inbegriff des Massenwohlstands.
Die Grenzen des Fordismus
Dass das fordistische Produktionssystem grundsätzlich nicht auf westliche Kulturen beschränkt bleiben musste, bewies Japan. Volker Elis vom Deutschen Institut für Japanstudien zeigt in seinem Beitrag für die „Zeithistorischen Forschungen“, dass die viel bewunderte Strategie „Kaizen“ („Verbesserung“) in der japanischen Automobilindustrie – oft wird auch von einem spezifischen „Toyotismus“ gesprochen – letztlich auf fordistische Prinzipien zurückgeht. „Bei den Managern der japanischen Autoindustrie handelte es sich im Grunde um Bewunderer des Ford-Systems, denen es wegen Kapital- und Raummangels sowie weiterer Faktoren wie der von Arbeitskämpfen geprägten Atmosphäre zu Beginn der 1950er Jahre nicht gelang, das amerikanische Modell in Japan eins zu eins umzusetzen“, schreibt Elis. Weil radikale Neuerungen und Großinvestitionen zu teuer waren, entwickelte Toyotas stellvertretender Direktor Ohno Taiichi (1912-90) ein Produktionssystem, das nicht auf technologischen Durchbrüchen beruhte, sondern auf vielen kleinen Veränderungen, die die Abläufe kontinuierlich verbessern. Unbedingte Voraussetzung dafür war und ist aber die Kooperation einer möglichst langfristig gebundenen Belegschaft. Weitgehend gesicherte Arbeitsplätze gegen ständige Effizienzsteigerung. Henry Ford wäre vermutlich von Toyota begeistert.
An ihre Grenzen gerät diese und jede andere Form von Fordismus, wenn seine gesellschaftliche Akzeptanz schwindet. Wenn Arbeitgeber und -nehmer am gegenseitigen Treuepakt das Interesse verlieren. Das betrifft offenbar alle entwickelten Gesellschaften, die den fordistischen Traum vom Wohlstand wahr gemacht haben, auch die japanische. Der zunehmende Individualismus, der zu kurzfristigen Arbeitsverhältnissen führt, und der Machtzuwachs der Finanzwirtschaft, der die Unternehmen zu kurzfristigen Zielsetzungen zwingt, sind nur zwei der vielen Kräfte der Gegenwart, die das fordistische Produktions- und Gesellschaftsregime aushöhlen. Seine Zukunft könnte in jenen Ländern liegen, die den Wohlstand noch vor sich haben, wo sich noch nicht jeder Arbeiter einer Autofabrik selbst ein Auto leisten kann.
HENRY FORD
Leben Henry Ford (1863-1947) wurde auf einer Farm in Michigan geboren und war Ingenieur bei Thomas Edison. Sein erstes Auto baute er 1896. Nach der Gründung der Ford Motor Company 1903 entwirft er 1908 das „Model T“ und führt 1914 die Fließbandfertigung ein. Das Model T wird bis 1928 rund 15 Millionen Mal verkauft. Nach dem Tod seines Sohnes Edsel 1943 führte Henry Ford das Unternehmen noch einmal für zwei Jahre, bevor sein Enkel Henry Ford II. die Leitung übernahm.
Bücher In „Mein Leben und Werk“ (1923) stellt Ford sein politisches Programm vor: Steigerung der Produktivität durch Rationalisierung und gesellschaftliche Stabilität durch gerechte Entlohnung. Schon zu seinen Lebzeiten sprach man vom „Fordismus“. Ignoriert wird meist – zumindest seit 1945 – Fords Antisemitismus. In seinem ersten Buch „Der internationale Jude“ setzte Ford Juden mit Händlern und Bankiers gleich, die er für gesellschaftliche Ungerechtigkeit verantwortlich machte.
Weitere Links
http://www.zeithistorische-forschungen.de/site/40208931/default.aspx
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