Pornographische Literatur des 18. Jahrhunderts stellt nach wie vor ein kaum erforschtes Gebiet der Germanistik dar. Lange Zeit scheute die Disziplin die Auseinandersetzung mit diesem besonderen Genre. Man nahm an, dass zu jener Zeit vorwiegend Übersetzungen fremder – hauptsächlich französischer – Erotica im Umlauf waren. Eine Fehleinschätzung, wie neuere Forschungen zeigen und den Blick auf ein weites Feld frivoler Literatur deutscher Herkunft richten. Erste Ergebnisse wurden kürzlich auf der internationalen Tagung "Deutsche Pornographie in der Aufklärung" an der Universität Erfurt zusammengetragen. Was wurde im 18. Jahrhundert gelesen? Wie unterschied sich die deutsche Pornographie von der französischen? Und ist Pornographie überhaupt der passende Begriff für diese Texte? Wir haben mit dem Mitorganisator der Tagung, Dr. Dirk Sangmeister, über das neue Forschungsfeld gesprochen.
"Seitens der Germanistik sind wenig substantielle Arbeiten veröffentlicht worden"
L.I.S.A.: Herr Dr. Sangmeister, Sie haben zuletzt eine Tagung mitorganisiert und durchgeführt, die sich im Forschungszentrum Gotha der Universität Erfurt dem Thema „Deutsche Pornographie in der Aufklärung“ gewidmet hat. Klingt nach einer thematisch eher außergewöhnlichen Veranstaltung. Wie kam es dazu, eine Tagung zu diesem Thema zu veranstalten? Welche Kernfrage leitete Sie dabei?
Dr. Sangmeister: Als Martin Mulsow, der Direktor des Forschungszentrums, und ich 2011 in Gotha eine Tagung über »Klandestine Literatur« im Zeitalter der Französischen Revolution veranstaltet haben, fiel uns auf, wie wenig substantielle Arbeiten bislang seitens der Germanistik über erotische und pornographische Lesestoffe veröffentlicht worden sind. Einige Studien sind offensichtlich seit langem veraltet, andere sind noch ungeschrieben. Der Zeitpunkt für die Tagung schien uns nun doppelt günstig zu sein, weil es einerseits seit mehreren Jahren eine allgemeine Diskussion über Verheißungen und Gefahren heutiger Pornographie in der breiten Öffentlichkeit gibt, und weil ich andererseits derzeit dank eines Stipendiums der Gerda Henkel Stiftung ein Forschungsprojekt über »Verbotene Bücher in Sachsen 1750-1850« verfolge, wobei naturgemäß immer wieder auch verbotene und konfiszierte Erotica in meinen Blick geraten.