Mit Datum vom 15. Januar 1904 wird in den Jahresberichten ein Brief an dem Frankfurter Magistrat wie folgt zitiert:
… „Unser Stadtteil besitzt zwar seit 1901 eine höhere Knabenschule, die Sachsenhäuser Realschule, entbehrt aber noch einer höheren Mädchenschule, welche für unseren Stadtteil ein dringendes Bedürfnis ist. Alle die Gründe, welche verehrl. Magistrat bewogen haben, in Sachsenhausen eine höhere Knabenschule zu errichten, dürften in gleichem Masse auch für die Errichtung einer höheren Mädchenschule gelten. Die höheren Mädchenschulen, welche sich in dem rechtsmainischen Frankfurt befinden, sind nicht nur sehr weit vom Mittelpunkt unseres Stadtteils entfernt, sondern der Andrang der Schülerinnen zu diesen Schulen ist auch ein derartig grosser, dass die Kinder unseres Stadtteils nur sehr selten dort Aufnahme finden können. Letzeres gilt insbesondere von der unserem Stadtteil am nächsten gelegenen Elisbethenschule.
In den letzten Jahren sind daher von den verschiedensten Seiten fortgesetzt Klagen entgegengebracht worden, dass Kinder von Einwohneren Sachsenhausens wegen Ueberfüllung der Elisabethenschule dort keine Aufnahme gefunden haben.
Sachsenhausen ist – abgesehen von Oberrad und Niederrad, deren Einwohner eine höhere Mädchenschule in Sachsenhausen auch zum Vortheil gereichen würde – ein aufblühender Stadtteil von über 40.000 Einwohnern.
Durch die Bestrebungen verehrlichen Magistrats, auch in unserem Stadtteil recht viel Baugelände zu erschliessen, entwickelt sich unser Stadtteil in der schönsten Weise. Da nun nach der bestehenden Bauordnung in einem verhältnismässig grossen Teil der westlichen Sachsenhäuser Gemarkung nur Häuser mit zwei Obergeschossen, ja zum Teil nur Einfamilienhäuser erbaut werden dürfen, da ferner auf dem Sachsenhäuser Berg eine ähnliche Bauordnung Platz greifen soll, so sind auf diese Weise zwei Villen-Viertel in unserem Stadtteil in der Entstehung begriffen, welche in Gemeinschaft mit den bereits im Westen Sachsenhausens und am Mainufer befindlichen Villen eine wohlhabende Bevölkerung nach Sachsenhausen ziehen werden, wie sie –abgesehen vom Westend- in keinem anderen Frankfurter Stadtteil vorhanden sein dürfte.
Nun schicken aber Bürger, welche Einfamilienhäuser oder welche Wohnungen von 5, 6, 7 und mehr Zimmern bewohnen, ihre Söhne im Allgemeinen in höhere Knaben-, ihre Töchter in höhere Mädchenschulen.
Derartige Bürger pflegen daher nur in solchen Stadtteilen Wohnung zu nehmen, in welchen die betreffenden Schulen nicht nur für ihre Söhne, sondern auch für ihre Töchter vorhanden sind.
Soll deshalb in der Entwicklung unseres Stadtteils durch den gänzlichen Mangel einer höheren Mädchenschule kein Stillstand eintreten, so muss notwendigerweise die Errichtung einer höheren Mädchenschule in Sachsenhausen baldigst erfolgen.
Aber nicht nur die gedeihliche Entwicklung unseres Stadtteils ist es, welche die Errichtung einer höheren Mädchenschule dringend fordert, noch in viel grösseren Masse ist die Errichtung einer solchen Schule ein notwendiges Bedürfnis für die nicht wohlhabende Bevölkerung Sachsenhausens.
Jeder Bürger. Insbesondere aber der Bürger mit mittlerem und geringem Einkommen muss bestrebt sein, nicht nur seinen Söhnen, sondern auch seinen Töchtern eine Allgemeinbildung zu geben, die ihren Fähigkeiten und Gaben entspricht und die gebührende Rücksicht nimmt auf die etwaige spätere Berufswahl der Kinder.
Grosse leistungsfähige Gemeinden wie die unsrige haben darum die Pflicht, auch strebsamen Mädchen die nötigen Schulen zu beschaffen, wo sie ihre Fähigkeiten auszubilden vermögen. Treten sie später in den Stand der Ehe, so sind sie alsdann den Aufgaben eines bürgerlichen Haushaltes voll und ganz gewachsen und können ihren natürlichen Beruf als Lebensgefährtin des Mannes und als Mutter am besten ausfüllen.
Bleibt ihnen aber ihr natürlicher Beruf verschlossen und fühlen sie sich stark genug, einen bürgerlichen Beruf zu ergreifen, so muss ihnen erst recht in ihrer Jugend Gelegenheit geboten worden sein, sich eine möglichst gute abgeschlossene Allgemeinbildung , wie sie durch die Mittel- und Bürgerschulen vermittelt wird, genügt, so ist es doch eine feststehende Tatsache, dass für eine ganze Reihe von Berufsarten der Frauen, nur die höhere Mädchenschule die notwendige Vorbildung gibt.
Im Interesse der Bürger mit mittlerem und geringem Einkommen, deren Töchter einen bürgerlichen Beruf ergreifen sollen, welcher den erfolgreichen Besuch einer höheren Mädchenschule verlangt, ist mithin die Errichtung einer solchen Schule ein dringendes Bedürfnis. Die Errichtung einer höheren Mädchenschule in unserem Stadtteil dürfte aber auch für die Stadtverwaltung von finanziellem Vorteil sein. Sämtliche Mädchenklassen der z. Zt. In Sachsenhausen bestehenden Bürgerschulen und Mittelschulen haben genügend Schülerinnen. Die Souchayschule, welche seit 1899 Parallelklassen für Mädchen eingerichtet hat, zählt auch bereits in diesen Parallelklassen mehr Schülerinnen als die geltenden Regierungsbestimmungen vorschreiben. Mithin wird unsere Stadtverwaltung genötigt sein, der Gründung neuer Mädchenschulen in Sachsenhausen baldigst näher zu treten. Nun beträgt aber nach dem Verwaltungsbericht des Magistrats vom Jahr 1902 … der städt. Zuschuss für eine Bürgerschülerin 77,05 Mark, für eine Schülerin einer Mittelschule 78,44 Mark, für eine höhere Mädchenschule hingegen nur 61,32 Mark.
Demnach wird die Stadtverwaltung bei Errichtung einer höheren Mädchenschule geringere Mittel aufzuwenden haben wie bei Errichtung einer anderen Art von Mädchenschule, ein finanzieller Vorteil für die Stadt dürfte sich also hieraus ergeben.
Aus den angeführten Gründen richtet der Vorstand des Bezirk-Verein Sachsenhausen E.V. an verehrl. Magistrat die Bitte:
„Verehrl. Magistrat wolle die Errichtung einer höheren Mädchenschule in Sachsenhausen baldigst veranlassen“.
Hochachtungsvoll
Der Vorstand.“
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schreiben Sie mit bitte eine E-Mail an meine private Adresse:
jensholger.jensen@freenet.de
Ich nehme dann gerne Kontakt zu Ihnen auf.
Vielen Dank!
Mit freundlichen Grüßen
Jens-Holger Jensen
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wie schön, diese Informationen zur Holbeinstraße zu finden! Ein Teil meiner Familie lebte in Haus Nummer 31 bis zur Zerstörung. Gern sende ich Ihnen für Ihre Sammlung ein paar Informationen und Fotos zu.
Herzliche Grüße aus Hamburg, ich freue mich auf Ihre Antwort.
Elisabeth Bergmann
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als StadtteilHistoriker haben Sie mit dieser Ausstellung einen großartigen Abschluss zu Ihrer riesigen und sorgfältigen Recherche vorgelegt. Herzlichen Glückwunsch! Das ist ein ausgezeichneter und wichtiger Beitrag über die Sachsenhäuser Geschichte. Die von Ihnen aufgefundenen und gesicherten Quellen wären in der nächsten Generation unwiederbringlich verloren.
Bleibt, der Ausstellung zahlreiche Besucher zu wünschen. Da ich in Sachsenhausen im "Westend" aufgewachsen bin, war der Besuch der Ausstellung für mich wie ein Spaziergang durch meine Kindheit und Schulzeit. Aber auch den Jüngeren wird die Ausstellung Einblicke darein geben, wie Sachsenhausen früher und besonders in der unmittelbaren Nachkriegszeit aussah und ein Gefühl dafür, wie sich die lebenswirksamen Veränderungen eines Quartiers im Laufe von Jahrzehnten auswirken können. Das ist dann "lebendige" Geschichtsschreibung.
Da Sie die Bild- und Textmaterialien in Ihrer Ausstellung ausgezeichnet strukturiert haben, bleibt zu hoffen, dass diese auch auch in voller Auflösung als PDF auf L.I.S.A. eingestellt und so dauerhaft zugänglich gemacht werden können.
Mit herzlichen Grüßen,
Philipp Bockenheimer
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wieder einmal ein gelungenes Werk. Gratuliere!