Das Kapital von privatwirtschaftlich betriebenen Sozialen Netzwerken wie Facebook ist eine möglichst große Übereinstimmung der realen mit der virtuellen Identität ihrer Nutzerinnen und Nutzer. Klarnamen, Wohnort, Telefonnummer, Interessen, politische Gesinnung, Konfessionszugehörigkeit, Hobbies, favorisierte Filme und Musik und Likes für Konsumartikel und andere Produkte - das sind Daten, die für Unternehmen von großem Wert sind und zielgerichtetes Product Placement erlauben. Aber nicht nur Privatunternehmen interessieren sich für solche Informationen, auch staatliche Behören und Institutionen sammeln diese fleißig und streben nach Eindeutigkeit und Nachvollziehbarkeit von virtuellen Profilen, um beispielsweise subversives Verhalten frühzeitig nach seinem Gefahrenpotential abschätzen zu können. Kommodifizierung und Kontrolle gehen hierbei gemeinsame Wege. Ist das Nutzen des Netzes so gesehen vor allem eine große Datenerhebungsmaschine, der wir uns für frei- und gutwillig unterwerfen? Ist kritisches und nonkonformes Verhalten im Netz überhaupt noch möglich, wenn wir mit Klarnamen agieren? In welche Raster fällt man, falls man es doch tut? Welche Bedeutung kommt dabei Anonymität zu? Die Soziologin Dr. Carolin Wiedemann hat sich in Ihrer Dissertationsarbeit dieser Fragen angenommen. Wir haben ihr unsere Fragen gestellt.
"Das Unberechenbare und Ereignishafte bestimme ich als subversiv"
L.I.S.A.: Frau Dr. Wiedemann, Sie haben im Anschluss an Ihre Dissertationsarbeit einen Band publiziert, in dem Sie den Fokus auf kritische Kollektivität im Internet richten. Wie lautet dabei Ihre Ausgangsfrage und was ist Ihre zentrale These?
Dr. Wiedemann: Ich frage in dieser kumulativen Doktorarbeit, was als subversiv gelten kann unter den Bedingungen der Informatisierung, die mit der Entwicklung einer biopolitisch-kybernetischen Kontrollgesellschaft im Deleuzianischen Sinn einhergeht. Gegenüber einem kontrollgesellschaftlichen Zugriff, der über die proaktive Identifikation und Bewegungskontrolle funktioniert, bestimme ich das Unberechenbare und Ereignishafte sowie Formen von Kooperation als subversiv, die nicht auf Repräsentationslogiken, sondern auf „emergenter Solidarität“ basieren, welche wiederum unter anderem durch digitale Infrastrukturen ermöglicht wird.
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