Corona erreichte Südamerika später als andere Regionen der Welt. Doch das Virus verbreite sich schnell, sodass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Mai bereits 87 Prozent aller Fälle weltweit auf dem Kontinent verortete, die meisten davon in Brasilien. In Kolumbien halten sich die Zahlen bislang vergleichsweise in Grenzen, nach Angaben des Instituto Nacional de Salud sind mehr als 100.000 Menschen mit dem Virus infiziert, 3.600 sind an ihm gestorben (Stand 01.07.2020).[1] Die Regierung entschied sich für einen strikten Kurs und beschloss sehr früh Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung. Dazu gehörten die Einschränkung der Bewegungsfreiheit und eine generelle Ausgangssperre. In der Hauptstadt Bogotá wurde und wird diese besonders strikt durchgesetzt, die Bevölkerung darf nur einmal in der Woche zum Einkaufen das Haus verlassen, im Supermarkt oder in der Apotheke wird der Ausweis kontrolliert. Insbesondere die vielen Arbeiterinnen und Arbeiter im informellen Sektor bekamen die Auswirkungen direkt zu spüren, ihnen fehlte die Arbeit und damit der Lohn.
Wir sprachen mit Gabriela Ardila Biela, die zu Fußball in Kolumbien am Arbeitsbereich Globalgeschichte an der Universität Hamburg promoviert, über die Situation im Land.
"Kein Schutz für die gefährdetsten Gruppen"
L.I.S.A.: Frau Ardila Biela, die kolumbianische Regierung hat sehr früh reagiert und Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionskrankheit beschlossen. Was macht das Virus nun mit Kolumbien: Wie ist die Lage im Land und die Stimmung der Menschen? Was sehen Sie als größte Herausforderung?
Ardila Biela: Die frühen Maßnahmen der Regierung waren repressive Ausgangssperren und Quarantäne, aber leider kein Schutz für die gefährdetsten Gruppen. Am 21. März haben zum Beispiel Gefangene Schutz gefordert, weil die Gefängnisse sehr stark überfüllt sind und deswegen die Hygieneregeln nicht einzuhalten waren. Das endete mit einem Massaker an den Inhaftierten - mit 23 toten Gefangenen und über 80 Verletzten durch Wärter und Polizei. Die Situationen in den Gefängnissen hat sich weiterhin verschlechtert, und durch Verlegungen der Gefangenen konnte sich das Virus in verschiedenen Gefängnisse Kolumbiens ausbreiten.
Der Gesundheitssektor ist schon seit einiger Zeit unterfinanziert und es gibt kein System (auch nicht vor dem Virus), das die Gesundheitsversorgung der Menschen im ganzen Land ermöglichen würde. Aktuell steigt die Zahl der Infizierten weiter an, obwohl die Quarantäne schon mehr als zwei Monate andauert [2]. Die Kurve ist immer noch nicht flacher. Nun wurden Lockerungen eingeführt, die darin bestehen, dass die Ärmsten ohne Rücksicht auf ihre Gesundheit arbeiten gehen sollen, damit die Privatfirmen nicht pleite gehen. In Bogotá wird je nach Lage in den verschiedenen Stadtteilen entschieden. Kennedy zum Beispiel ist vom 1. bis 14. Juni geschlossen, weil dieser Stadtteil in Bogotá die meisten Fälle hat. Aber es ist unklar, wie auf medizinischer Ebene gehandelt wird. Die Regierung investiert hauptsächlich in Militär und Polizei - während der Quarantäne wurden mehr als 9.000 Millionen Pesos (über zwei Millionen Euro) in die "Riot-Polizei"[3]investiert.
Ich glaube, in Kolumbien sind die größten Herausforderungen Armut und Repression. Diese Probleme sind nicht erst durch Corona entstanden, haben sich aber mit der derzeitigen Situation zugespitzt. Gerade hungern viele Menschen und die Regierung nutzt die Notstandssituation, um Gesetze zu erlassen und den Repressionsapparat zu stärken. Indigene, Schwarze und verarmte Menschen sind vom Virus und vom Hunger besonders betroffen, ebenso Frauen, die zusätzlich noch mit patriarchaler Gewalt konfrontiert sind.