Als aus China die ersten Berichte über den Ausbruch einer neuen Virus-Epidemie nach Europa kamen, nahm das hier kaum jemand ernst. Zu nah waren noch die Erfahrungen mit vielen anderen Seuchen der vergangenen Jahre - Vogelgrippe, Schweinepest, SARS, Ebola etc. -, die medial zwar einen großen Niederschlag fanden, aber auf das Leben in Europa kaum einen Einfluss hatten. Das ist dieses Mal anders. Längst ist das Epizentrum der Epidemie von Asien nach Europa und Nordamerika gewandert - aus China hört und liest man diesbezüglich kaum noch etwas. Vielmehr gilt die Seuche dort als fast überwunden. Ist das tatsächlich so? Wie haben die Menschen in China die Coronakrise erlebt, welche Maßnahmen wurden ergriffen und wie ist der Stand heute? Das haben wir zwei ehemalige Stipendiaten der Gerda Henkel Stiftung, die Musikwissenschaftlerin und Übersetzerin Dr. Bei Peng und den Philosoph Prof. Dr. David Bartosch von der Beijing Foreign Studies University, gefragt, die seit Jahren in Peking leben.
"Wuhan gilt als einer der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte im Lande"
L.I.S.A.: Frau Dr. Peng, Herr Professor Bartosch, Sie leben, lehren und forschen schon seit Jahren in China. Das derzeit sich über die Welt ausbreitende Virus COVID-19 soll seinen Ursprung in China, genauer in Wuhan, der Provinzhauptstadt von Hubei, gehabt haben, so der Kenntnisstand hier. Was weiß man in China über den Ausbruch der Corona-Epidemie?
Dr. Peng/Prof. Bartosch: Wie Sie richtig sagen, leben wir seit einigen Jahren in Beijing. Als die COVID-19-Krise begann, haben wir uns entschieden in China zu bleiben. Das Virus wurde zuerst im Kontext eines Fischmarktes der Stadt Wuhan entdeckt, der übrigens nur ganze fünf Minuten von einem Hauptbahnhof dieser Megacity entfernt liegt. Wuhan ist die wichtigste Metropole entlang des mächtigsten chinesischen Stromes, des Jangtsekiang, und hat elf Millionen Einwohner, ist also größer als New York. Wuhan liegt, was die chinesische Landkarte betrifft, ziemlich zentral, und gilt als einer der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte im Lande. Es handelt sich daher um einen denkbar ungünstigen Ort für den Ausbruch einer solchen Epidemie. Es war außerdem eine extrem ungünstige Zeit, denn kurz vor dem Frühlingsfest waren wirklich fast alle im Lande auf Achse. Jedes Jahr wollen während dieser Zeit nahezu alle Menschen entweder in ihren Heimatort reisen oder sich mit ihren Verwandten an einem Urlaubsort treffen, um das wichtigste chinesische Fest zu begehen. Vom Aspekt der family reunions her gesehen handelt es sich quasi um das Äquivalent zum Weihnachtsfest. Eine Statistik vom Vorjahr vermerkte drei Milliarden Reisebewegungen zu dieser Zeit.