"Aber selbst wenn man sich von der Konfrontation mit dem Worst-Case-Szenario eine ‚heilsame‘ Wirkung erhofft, darf man nicht vergessen, dass die gezielte Angstmache fatale Auswirkungen haben kann, so dass sich immer auch die Frage nach dem 'Exit aus der Angst' stellt."
Der Anblick der um Luft ringenden Menschen fordert zum aktiven Mitleiden auf, das sich von einer symbolischen Einfühlungsgeste zur psychophysischen Panik vor der eigenen körperlichen Ansteckung steigern kann und damit stellvertretend zeigt, welche bedeutsame Rolle zwischen solidarischer Nähe und selbstschützender Distanz Bilder im Infektionsgeschehen einnehmen können. Gleichwohl gilt es, sich immer auch die ethische Janusköpfigkeit des Betrachtens von Bildern des faktischen Leidens anderer ebenso wie die Äußerung der eigenen körperlichen Affiziertheit zwischen ernstem Mitgefühl und selbstzentrierter Vitalitätsbestätigung vor Augen zu führen – das gilt insbesondere für Bilder, die uns nah rücken und jene Differenz zwischen uns in Sicherheit und den Patient*innen in Not affektiv zu überbrücken scheinen, die unseren Rezeptionsakt moralisch fragwürdig erscheinen lässt.
In Bezug auf die Frage, ob die Gefahr des Virus noch immer unterschätzt werde, wies der Sozialwissenschaftler Martin Voss, Leiter der Katastrophenforschungsstelle (KFS) in Berlin, Ende April auf die bedeutende Rolle von Bildern in Krisensituationen hin: „Es fehlen bei der Corona-Pandemie die zerstörerischen Bilder und die sofort sichtbaren großen Opferzahlen, die verwundeten Menschen und zerstörten Häuser.“ Mit Blick auf die affizierende Kraft bedauert auch die Kunsthistorikerin Sarah Elizabeth Lewis noch Ende Mai den geringen Einsatz drastischer Bilder von Corona-Toten in der Berichterstattung als Pandemiebekämpfung: „For society to respond in ways commensurate with the importance of this pandemic, we have to see it. For us to be transformed by it, it has to penetrate our hearts as well as our minds."
Es scheint also nicht nur so zu sein, dass „sich all die Einsamen und Depressiven in ihrer häuslichen Isolation eben ›schlechter bebildern‹ ließen als das Sterben auf Intensivstationen“, wie Jakob Augstein in der Talkrunde bei Sandra Maischberger zu bedenken gab, „als sei es ein unfairer medialer Vorteil des Todes, dass er den Leuten Angst macht"; gerade Bilder menschlicher Kraftlosigkeit können eine starke affektive Wirkungskraft besitzen und im Pandemiegeschehen dabei helfen, die anfangs noch abstrakt wahrgenommene und potentiell unterschätzte Gefahr des Virus zu einer konkreten Bedrohung werden zu lassen.
Eine vergleichbare Bildnutzungsidee legt auch ein internes Strategiepapier des Innenministeriums nahe, das von dem gemeinnützigen Portal für Informationsfreiheit FragDenStaat geleakt wurde und einen gefährlichen Umschlagpunkt von geplanten Einsätzen drastischer Bilder umkreist, wenn im Text dafür plädiert wird, der Bevölkerung gezielt Angst zu machen, um eine „Schockwirkung“ zu erzielen. Dass in dem Dokument das Ersticken als eine „Urangst“ auftaucht und mit den „verstörenden Bildern“ aus Italien assoziiert wird, betont einmal mehr die Dringlichkeit des Nachdenkens über den Einsatz von Bildern in der Krisenkommunikation.
Letztlich müssen etwa Kausalschlüsse, wie sie Lenz Jacobsen aus dem Begehren nach harten Leidensbildern heraus formulierte, relativierend hinterfragt werden: „Dass es so wenige Fotos vom Leid der Corona-Opfer gibt, trägt dazu bei, dass die Gefahr der Pandemie, ihre körperliche Gewalt, unterschätzt wird.“Denn selbst wenn man sich von der Konfrontation mit dem Worst-Case-Szenario eine ‚heilsame‘ Wirkung erhofft, darf man nicht vergessen, dass die gezielte Angstmache fatale Auswirkungen für die persönliche Alltagsbewältigung und das soziale Miteinander haben kann, so dass sich immer auch die Frage nach dem „Exit aus der Angst“ stellt.