Das neue Buch des australischen Historikers Prof. Dr. Christopher Clark von der University of Cambridge ist in Deutschland ein Renner. Woche für Woche verkaufen sich fast 20.000 Exemplare, Die Schlafwandler erscheint bereits in der achten Auflage. Wie erklärt es sich, dass ein "historischer Schinken" von fast 900 Seiten so begehrt ist? Außerdem wird das Buch in den meisten Besprechungen sehr gelobt, und Christopher Clark bescheinigt, er habe das wichtigste Buch zum Ersten Weltkrieg geschrieben. Auch hier die Frage: Warum kommt das Buch so gut an?
Wir haben darüber mit dem Historiker Prof. Dr. Gerd Krumeich, einem der führenden Experten zum Ersten Weltkrieg, gesprochen, dessen Buch Julikrise 1914 kommende Woche erscheinen wird.
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Ebene 1: behauptete "Allgemeinschuldthese" Fischers
Die maßgeblichen Sätze in der Studie "Griff nach der Weltmacht" - und diese dürften als das Fundament der sogenannten Fischer-Kontroverse anzusehen sein - lauten:
„Bei der angespannten Weltlage des Jahres 1914, nicht zuletzt als Folge der deutschen Weltpolitik;– die 1905/06, 1908/09 und 1911/12 bereits drei gefährliche Krisen ausgelöst hatte –, musste jeder begrenzte (lokale) Krieg in Europa, an dem eine Großmacht unmittelbar beteiligt war, die Gefahr eines allgemeinen Krieges unvermeidbar nahe heranrücken. Da Deutschland den österreichisch-serbischen Krieg gewollt, gewünscht und gedeckt hat und, im Vertrauen auf die deutsche militärische Überlegenheit, es im Jahre 1914 bewusst auf einen Konflikt mit Russland und Frankreich ankommen ließ, trägt die deutsche Reichsführung einen erheblichen Teil der historischen Verantwortung für den Ausbruch eines allgemeinen Krieges. Diese verringert sich auch nicht dadurch, daß Deutschland im letzten Augenblick versuchte, das Verhängnis aufzuhalten: denn die Einwirkung auf Wien geschah ausschließlich wegen der drohenden Intervention Englands, und auch dann wurde sie nur mit halben, verspäteten und sofort widerrufenen Schritten unternommen.“ (vgl. etwa http://de.wikipedia.org/wiki/Fischer-Kontroverse)
Ein "erheblicher Teil der historischen Verantwortung" ist zumindest in meinem Sprachverständnis keine Alleinschuld. Kern der Fischerschen Argumentation sind vielmehr drei Argumente:
a) die Infragestellung der behaupteten deutschen "Defensiv-Orientierung"
b) die besondere Verantwortung des Deutschen Reichs für den Ausbruch, da es einen begrenzten Krieg zwischen Österreich und Serbien befürwortet habe (und eine mögliche Eskalation bewußt in Kauf genommen habe) und
c) da es die europäische Großmacht war, die am ehesten in der Lage gewesen wäre, durch Deeskalationsmaßnahmen den nahenden Krieg zu verhindern.
Diese Argumentation erscheint mir weit entfernt vom Artikel 231 des Versailler Vertrages ("Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären, und Deutschland erkennt an, daß Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten haben."), der m.W. die einzige nachhaltige Interpretation der Juli-Krise 1914 ist, die eine "Alleinschuld" konstruiert - und als politische Argumentation vermutlich niemals akademisch diskursfähig war.
Ebene 2: Durchsetzung eines Fischer-Paradigmas in der deutschen Geschichtswissenschaft
Die sogenannte "Fischer-Kontroverse", deren Bedeutung für die deutsche Geschichtswissenschaft und Gedenkkultur heute nach herrschender Meinung auf anderen Ebenen als der reinen "Kriegsschuldfrage" gesehen wird, ist bereits vom Namen eine "Kontroverse" - kein Paradigma. Fischer habe sich - so der Tenor zahlreicher Bilanzen - mitnichten vorbehaltlos durchgesetzt und ein "deutsches Bild auf den ersten Weltkrieg" geprägt. Jürgen Kocka etwa hat 2003 bilanziert
„Die Forschung hat Fischers Thesen modifiziert, relativiert, ergänzt, aber auch bestätigt. Einiges davon gehört heute zum unumstrittenen Schulbuchwissen. Der entscheidende Beitrag Deutschlands zum Kriegsausbruch ist heute weitgehend anerkannt, wird allerdings umfassender und distanzierter erklärt als bei Fischer, nämlich einerseits aus dem Nachzüglerstatus Deutschlands als einer imperialistischen Macht und aus den Mechanismen der internationalen Konkurrenz jener Zeit, andererseits und vor allem aber aus den ökonomischen, sozialen, verfassungsmäßigen und mentalen Krisen des wilhelminischen Reichs, nicht nur aus seinen ökonomischen Interessen. Das europäische Umfeld Deutschlands ist heute viel besser ausgeleuchtet als 1961. Das hat Fischers These gewissermaßen eingebettet."
Als "Fischer light" wird dann auch der Konsens beschrieben, der auf eben den oben skizzierten Thesen Fischers beruht und wie folgt zusammenfassend werden kann: "dass die deutsche Reichsregierung in der Julikrise 1914 den Krieg ausgelöst habe, absichtsvoll, jedoch nicht von langer Hand geplant, im hektischen Hin und Her diplomatischer Schachzüge und hereinströmender Informationen." (vgl. Joachim Radkau in http://www.zeit.de/2014/03/politisches-buch-erster-weltkrieg)
Wie dieser Konsens im Übrigen zu widerlegen ist, ohne sich näher mit dem Deutschen Reich zu befassen (und das unterlässt Clark aus guten Gründen), ist die unbeantwortete Frage in der gegenwärtigen (rein?) politischen Debatte. Clark sagt übrigens über Fischer "Man kann Fritz Fischer nicht widerlegen. Denn er hat seine Quellen nicht erfunden. [...] Er hat vieles an den Tag gelegt, was bis dahin nicht bekannt war." (so in einer Phoenix-Diskussion über den Ersten Weltkrieg)
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