Die Fotografie ist das bedeutendste Massenmedium unserer Zeit - jede und jeder ist dank Smartphone mit (relativ) guten Kameras ausgestattet, insbesondere die sozialen Medien kommen ohne täglich gepostete Bilder nicht aus. Welchen Wert aber hat die Fotografie als Allegorie der Gleichzeitigkeit, zwischen Rettung des Augenblicks und Einsicht in die Vergänglichkeit, heute?
In seinem jüngst erschienenen Band arbeitet Prof. Dr. Ralf Bohn den Diskurs über das Fotografische anhand von kommentierten Zitaten von Derrida über Bourdieu bis hin zu Sontag auf. Im L.I.S.A.Interview fragten wir ihn nach dem Moment des Fotografierens als Geste und der Bildbetrachtung als Schriftlichkeit, Verräumlichung und Inszenierung.
"Fotografie ist das dramatischste und existenziellste Massenmedium"
L.I.S.A: Herr Professor Bohn, mit Ihrem jüngsten Werk „Camera Scriptura“ haben Sie einen originellen Band zur Bildschriftlichkeit der Fotografie veröffentlicht. Was reizt Sie an diesem Thema?
Prof. Bohn: Die Publikation fasst erste Ergebnisse einer Forschungsarbeit zusammen, in der es um den aktuell diskutierten Gegensatz von Schrift und Bild geht. Bilder werden spontan erfasst, Schrift in der Regel linear gelesen. Bilder sind konkret, Schrift abstrakt, ihre Formen sind zufällig. Diese Gegensätze sind jedoch Kulturkonventionen. Wenig relevant sind sie, wenn man sie von der medialen Grundformation aus betrachtet. Medien sind Systeme, die aufzeichnen, speichern und abspielen. Erfasst man die Gegensätzlichkeit von Buchstabenschrift und Fotografie mit Friedrich Kittler als Pole einer Ökonomie technischer „Aufzeichnungssysteme“, so wird offensichtlich, dass diese Ökonomie vornehmlich mit der Geschwindigkeit der Aufzeichnungsbewegung zu tun hat: Das Foto entsteht in einer hundertstel Sekunde und wird ebenso schnell identifizierend erfasst. Das Foto fixiert einen Augenblick der Stillstellung für die Ewigkeit. Genau diese einzigartige Möglichkeit, mit Augenblick und Dauer zu spielen, hat mich interessiert. Die Fotografie ist für mich das dramatischste, existenziellste und artifiziellste Massenmedium. Natürlich gibt es in der Dynamik der Aufschreibesysteme auch moderate Systeme: Architektur, Malerei, Zeichnung, Skizze, Hieroglyphe, Typografie etc. Es ist wichtig, dass man zwischen den bloßen Formen, den Repräsentationsfunktionen und den Techniken der Ökonomisierung unterscheidet und das man fragt, was denn eigentlich Ökonomisierung und Technisierung bedeuten? Doch wohl Entkörperlichung, Aufhalten der Sterblichkeit, Fixierung der Zeit.