Mit dem Fernsehfilm „Unsere Mütter, unsere Väter“ gelang dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen 2013 ein Mediencoup, der immerhin sieben Millionen Zuschauer_innen vor die Bildschirme lockte. Als Ausdruck einer bundesdeutschen Meistererzählung zum Umgang mit Schuld und Verstrickung in die Verbrechen des Nationalsozialismus, lobten die einen die „Wucht und Monstrosität (...), die eine neue Phase der filmisch-historischen Aufarbeitung des Nationalsozialismus“ eingeleutet habe (Frank Schirrmacher) und erkannten im TV-Dreiteiler einen „Fortschritt, weil wir den Krieg gegen die Sowjetunion im deutschen Fernsehen noch nie auf eine so ungeschönte Weise gesehen haben“ (Norbert Frei). Kritischere Stimmen hingegen führten aus, der Film zeige Protagonisten „ohne Mitverantwortung“ und er verzichte auf eine Darstellung der „vielen normalen Profiteure“ (Habbo Knoch). Sogar die New York Times nahm Notiz vom Medientrubel in der Bundesrepublik und urteilte, der Film verfestige „the notion that ordinary Germans were duped by the Nazis and ignorant of the extent of their crimes.“
Vielleicht war die TV-Produktion eine der letzten Gelegenheiten, zu denen sich fast eine ganze Nation um den Fernseher versammelte, um gemeinsam über die Geschichte des Nationalsozialismus zu streiten. Denn mittlerweile finden Debatten über den Nationalsozialismus, den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg ebenso in den viel zitierten neuen Medien statt – und werden sich in Zukunft noch weiter in sie hinein verlagern. Zum anderen nahm „Unsere Mütter, unsere Väter“ kaum Notiz von den sich massiv verändernden historischen Orientierungsbedürfnissen der heterogenen Gegenwartsgesellschaft, die sich u.a. durch Migrationsprozesse, durch den Einfluss von Diversitätskategorien wie sogenannten Behinderungen, sexueller Identität, etc. sowie durch andere vielfältige Zugehörigkeitskontexten auszeichnet. Die Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte wirkt(e) sich zwangsläufig auch auf Geschichtsbilder sowie auf Geschichts- und Erinnerungskulturen aus. Die digitalen Medien mit ihren sozialen Netzwerken und Webangeboten erlauben es zudem, eigene subjektive Geschichtsbilder einer (breiten) Öffentlichkeit darzustellen. Diese vielfältigen Geschichtsbilder und Umgangsweisen mit der Geschichte hinterfragen auf diese Weise die Notwendigkeit von master narratives generell.
Die Vervielfältigung von Erinnerungsnarrativen lässt in der Gesellschaft zum einen historische Erzählungen entstehen, die sich mit anderen decken („shared memory“), aber auch solche, zu denen keine Übereinstimmungen zu finden („divided memories“), und andere wiederum, die sich widersprechen bzw. Kontroversen erzeugen („conflicting memories“). Gesellschaftliche Gruppen wie Sinti und Roma oder Homosexuelle mussten sich ihre Teilhabe am Gedenken an den Nationalsozialismus z.B. hartnäckig erstreiten, Migrant_innen weisen dem Holocaust in ihrer historischen Identität eine andere Bedeutung zu als die zumeist immer noch als homogen imaginierte deutsche Mehrheitsgesellschaft, und die Politik fordert, man müsse beider deutschen Diktaturen gedenken – ohne sich bei solchen Forderungen einer Relativierungsgefahr des Nationalsozialismus immer bewusst zu sein. Die geschichtskulturelle und geschichtsdidaktische Forschung nähert sich den hier umrissenen Herausforderungen nur mühsam, zurückhaltend und schwerfällig.