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Die Hamburger Unruhen als Impulse verstehen
Neue Forschungsansätze zum Thema Armut und Politikverdrossenheit erarbeiten?
Das Entsetzen über die Bilder von den verwüsteten Straßen in Hamburg nach dem G20-Gipfel, die Forderungen nach der Schließung der Roten Flora, die Schuldzuweisung bei der Hamburger Polizei sind die Reaktionen, welche noch die Medien bestimmen. Was kommt dann?
Das Ausmaß dieser Krawalle und ungehemmten Zerstörungswut sind zweifellos eine völlig sinnlose Art, gegen eine Weltpolitik aufzustehen, die alles andere als gerecht ist und viele Länder überhaupt nicht berücksichtigt. Es gibt intelligentere Arten, Widerstand gegen eine zunehmende Ausgrenzung in Deutschland selbst und in anderen Ländern zu leisten. Die Gesellschaft muß wieder mehr zusammenhalten, mehr miteinander sprechen und sich nicht immer gegenseitig anzugreifen. Dialoge müssen in allen gesellschaftlichen Gruppen stattfinden. Leider sind wir davon weit entfernt. Dialoge werden in Bildungseinrichtungen geführt. Auf der Straße und in den Arbeitsagenturen nicht.
Warum? Weil Bildung kostet und nicht gefördert wird.
Auf Deutschland bezogen, werden immer wieder neue Armutsstatistiken erhoben. Doch das reicht nicht. Armut erzeugt Aggressionen, und es ist nichts Neues, daß Linksextreme und Rechtsextreme das ausnutzen.
Wer aufgrund der sozial prekären Lage sich selbst schon aufgegeben hat, geht oft nicht mehr wählen. Die soziale Frage und deren Folgen tritt in der Politik immer mehr in den Hintergrund. Mit Ausnahme der Linkspartei.
Deshalb möchte ich mit meinem Beitrag einen Appell an die Sozial- und Politikwissenschaftler richten, sich nicht nur mit der Ausgrenzung auf kultureller Ebene und den gesundheitlichen Folgen auseinanderzusetzen, sondern auch nach den tieferen Ursachen und Wechselwirkungen dieser Ausschreitungen zu forschen. Denn bei Gewaltexzessen dieser Art wird es langfristig nicht bleiben.
Ich unterhielt mich vor einigen Jahren mal privat mit einem Polizisten. Dieser meinte mal: "Das wird nicht mehr ewig so gut gehen. Irgendwann knallt es auch in diesem Land mal so richtig!"
Was wäre als eine mögliche Konsequenz denkbar? Eine Beschränkung des Demonstrationsrechts? Das ist nämlich zu befürchten. Damit würde vielen Kritikern ein Grundrecht genommen. Alles im Interesse der inneren Sicherheit. Denn die Folgekosten solcher Ausschreitungen kommen im Falle von Hamburg noch dazu.
Der Zugang zu einer freien Bildung ist zweifellos ein wertvolles und wichtiges Gut, um den Frieden in unserer Gesellschaft zu gewährleisten. Doch die ist schrittweise immer weiter abgebaut worden. Bessere Bildungsmöglichkeiten für alle Menschen, ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihres finanziellen Status, ihrer Religion und auch ihres Alters stehen nicht zuletzt auch in einem direkten Zusammenhang mit ihrer Gesundheit und dem Ausgleich zwischen unterschiedlichen Gruppen.
Wer keine Chancen mehr für sich sieht, da er/sie zu alt ist und mittellos, erkrankt an Einsamkeit, einer Sucht und Depressionen oder gleitet in die Radikalität ab.
Denn Armut macht auch einsam. Wer vom öffentlichen Leben ausgegrenzt wird, ist in vielen Fällen anfälliger für die Versprechungen von Organisationen, die den Frieden nicht wollen.
Kulturelle Veranstaltungen, Sport, Ausflüge, das alles können sich Menschen, welche staatliche Hilfe beziehen müssen, nicht leisten. Ein Studium erst recht nicht. Wer zu alt ist, hat keinen Anspruch auf Bafög. Einen höheren Schulabschluß und eine richtige dreijährige Berufsausbildung sah die Arbeitsmarktpolitik der Agenda 2010 auch nicht vor. Dabei hatte die Regierung wiederholt das Fehlen von Facharbeitern und Akademikern beklagt!
Das rächt sich jetzt.
Es genügt nicht, diese Missstände festzustellen und zu kritisieren. Diese Entwicklungen ziehen weitaus größere Kreise, und die Krawalle in Hamburg gehören dazu.
Hildegard Jansen aus Lübeck